Johannes
Gottsleben
(Gotslebius, auch Theobius
genannt)
um
1559/60-1612
Magister und evangelischer Theologe
Stationen seines
Lebens im Zeitalter der Reformation
Allendorf an der
Werra, Marburg,
Jena,
Herborn,
Siegen, Dillenburg und Krombach
Deckblatt des Krombacher
Totenbuchs 1597-1672
Jugend in Allendorf an der
Werra (1559/60-1574)
Johannes Gottsleben
stammt aus Allendorf an der Werra. Ob Verwandtschaftsbeziehungen zu dem 1512 in
Allendorf genannten Bürger Claus Gotsleben bestehen, wissen wir nicht. Nur
wenige Dokumente haben die Zeiten überdauert. Besonders verheerend für die
geschichtliche Überlieferung sind die Folgen des Dreißigjährigen Krieges mit
der Zerstörung vieler Archive und den darin aufbewahrten Quellen. Am 27. April
1637 wurde die Stadt Allendorf von den Kaiserlichen überwältigt, geplündert
und in Brand gesteckt. Fast alle öffentlichen Gebäude und Wohnhäuser gingen
in Flammen auf. Nur fünf Häuser und Scheunen und das mit einem Schutzbrief
ausgestattete Sooden samt Salzwerk blieben verschont. Die St. Cruciskirche
brannte aus und mit ihr die in der angebauten Kapelle untergebrachte, kostbare
Kirchenbibliothek, die zugleich den Lehrern und Schülern der Lateinschule als
Schulbibliothek diente. Ebenfalls gingen viele der wertvollen, im einst
prunkvollen Rathaus aufbewahrten Dokumente und Urkunden verloren.
»Allendorf in den Soden« war
durch Salzgewinnung und Handel eine blühende Stadt, die zu den ersten Städten
Hessens zählte. Prachtvolle Fachwerk-Wohnhäuser und bedeutende öffentliche
Bauten zierten das Stadtbild. Drei Kirchen ragten über die Dächer. Ein
doppelter Mauerring mit zwischenliegendem Graben, durch Türme und Halbtürme
verstärkt, schützten die Stadt in unruhigen Zeiten und bei Fehden. Die Stadt
übte eine starke Anziehung auf die Bewohner jener Dörfer aus, die wegen
Kriegswirren oder ihrer ungünstigen Lage aufgegeben und wüst wurden. Zur
Feuerung ihrer Siedepfannen nutzten die Salz-Pfänner bis Mitte des 16.
Jahrhunderts ausschließlich Holz. Zu dessen Bezug bestand ein Bann- oder
Zirkrecht über ein großes Gebiet, das bis ins Eichsfeld hineingriff.
Die Einführung
der Reformation erfolgte nicht ohne Widerstand der Allendorfer Ratsfamilien, die
meist auch die Inhaber der Kirchenpfründe stellten.
Landgraf Philipp der
Großmütige (1504-1567) musste mit sanftem Druck nachhelfen, und oft kam es zu Zwistigkeiten
zwischen Rat und Kirche.
Allendorf an den Sooden
Zu der Zeit, als der
Landesherr durch Pachtverträge das Salzwerk übernahm und Johannes Rheinland -
auch Rhenanus genannt - das Amt des Pfarrers und Salzgrafen in Sooden antrat, wurde Johannes
Gottsleben um 1559/60 geboren und besuchte bis 1573/74 die 1250 gegründete Allendorfer Lateinschule.
Studium in Marburg
(1574-1579) und Jena (1586)
Als
Fünfzehnjähriger begann
Johannes Gottsleben 1574 zusammen mit seinen Landsleuten Johannes Iringius,
Hieronymus Faber, Johannes Lossius, Henrich Riem, Matthias Turmann, Liborius
Thomas und Israel Engelhard ein Theologiestudium an der
Universität Marburg, die
damals knapp 50 Jahre bestand. Im Zuge der Reformation hatte die erste
protestantische Universität der 23-Jährige Landgraf
Philipp 1527 gegründet.
Finanziert wurde sie durch die aufgelösten Klöster. Ihre Hauptaufgabe lag darin,
hessische Kirchen- und Staatsdiener heranzubilden. Neben der führenden
Theologischen Fakultät gab es von Anfang an eine Juristische, eine Medizinische
und eine Philosophische Fakultät. Für fast alle zwölf Fächer, die Marburger
Studenten im 16. Jahrhundert belegen konnten, hatte der Humanist und Reformer
Philipp Melanchthon (1497-1560) Lehrbücher geschrieben. Indes klagten Marburger
Professoren, dass die Werke des Wittenberger Gelehrten zum Teil viel zu
kompliziert für die oft erst 14 und 15 Jahre alten Schüler seien. Sie erhielten
damals zunächst eine Basisausbildung in den Fächern Grammatik - dahinter verbarg
sich Latein, die Wissenschaftssprache der Zeit, die Schüler auch untereinander
sprachen -, Dialektik (Logik) und Rhetorik. Selbstverständlich gehörte dazu auch
die Poesie mit praktischen Übungen in Dichtung.
In den Marburger Matrikeln der
Jahre 1571 bis 1580 finden wir insgesamt 135 Studenten, darunter mit zwei
Eintragungen von 1574 und 1579 Johannes Gottsleben.
Die Theologische Fakultät besaß damals auch nach dem Tod ihres berühmten
Professors Andreas Gerhard Hyperius (1511-1564) noch eine starke Anziehungskraft
mit der an ihr gelehrten unionistischen Theologie. Die theologische Tradition,
die Hyperius geschaffen hatte, und die milde kirchliche Richtung der
Landesherren fand in dem lutherischen Eiferer Aegidius Hunnius aus Schwaben, der
als Verfechter der Concordienformel von 1576 bis 1592 an der Theologischen
Fakultät lehrte, jedoch bald einen leidenschaftlichen und rücksichtslosen
Widersacher. Hunnius zog zwar Studenten aus den Gegenden des gefestigten
Luthertums an, doch wogen diese in ihrer Zahl nicht das Ausbleiben der vielen
Schweizer und Niederländer auf.
Zu der Zeit, in der Johannes
Gottsleben in Marburg weilte, war die Theologische Fakultät noch die
bedeutendste, doch deutete sich damals bereits ein Umschwung an. Das Studium der
Jurisprudenz trat immer mehr in den Vordergrund, und neben ihm fanden
Philosophie und schöne Wissenschaften jetzt mehr Raum und Entfaltung. Die
Hochschule öffnete sich im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts den studiis
humanioribus. Die besondere Förderung der Universität und der Wissenschaften durch
Landgraf Wilhelm IV. (1532-1592) bezeugen das enthusiastische Lob seiner
Professoren und die Fülle der Anekdoten, die über seinen ungezwungenen Verkehr
mit gelehrten und geistreichen Männern umliefen. Der rege Geist Wilhelms, den
seine Zeitgenossen schon den Weisen nannten, war allen Wissenschaften zugänglich.
Nach seinem Studium in Marburg,
das er um 1579 mit dem Erwerb des akademischen Grades eines Magister artium abgeschlossen hatte, verliert sich Johannes Gottslebens Spur erst einmal. Meist
verdienten die jungen Magister ihr Brot als Hauslehrer adliger oder wohlhabender
Bürgerkinder oder als Lehrer an Lateinschulen der reformierten Länder. Ob Johannes Gottsleben wieder in seine
Vaterstadt Allendorf zurückgekehrt ist, wissen wir nicht. Jedoch nennt er später
in Herborn seine Herkunft »Magister Joannes Gotslebius Allendorfensis ad salinas
Hassiacas«. Wir treffen Johannes Gottsleben 1586 in
Jena wieder, wo er
sich an der Universität unter ihrem damaligen Rektor Samuel Brothagen für das
im Februar beginnende Sommersemester eingeschrieben hatte. In Jena wird er seine Studien wieder aufgenommen haben, um
zum Doktor der Theologie zu promovieren und so
eher eine akademische Lehrtätigkeit aufnehmen zu können. Oder er hatte - wie
es Brauch war - als Hauslehrer und Mentor einen jungen adligen Herrn oder
wohlhabenden Bürgersohn zum Studium nach Jena begleitet.
Pädagogearch und Professor
am Pädagogium und der
Hohen Schule
Herborn (1587-Herbst 1594) und Siegen (Herbst 1594-1599/1600)
Herborn
1655
Die Erfahrungen seiner
Marburger und Jenaer Studienjahre wird Johannes Gottsleben später an seine Schüler
weitergeben können.
Wir finden ihn 1587 im nassauischen Herborn wieder, wohin er auf eine der drei
Professorenstellen für Philosophie an die Hohe Schule berufen wurde und als Pädagogearch
zugleich in
der ersten Klasse des neu eingerichteten Pädagogiums täglich mehrere Stunden
unterrichtete.
Doch wie kam es zur Gründung
einer Hohen Schule im nassauischen Herborn? Kurz nach Regierungsbeginn
Graf
Wilhelms des Reichen (1487-1559) hatte der Augustinermönch Martin Luther 1517
mit seinem Thesenanschlag in Wittenberg jene gewaltige Bewegung der Geister
eingeleitet, aus der die evangelische Kirche geboren wurde. Nach Friedrich dem
Weisen, dem Beschützer Luthers, hatte vor allem der junge Landgraf von Hessen,
Philipp der Großmütige, der neuen Lehre in seinem Lande Eingang verschafft.
Auch in Nassau sollte die Reformation bald Aufnahme finden. Graf Wilhelm war
durch seine wiederholten Aufenthalte am kursächsischen Hof auf die Schriften
Luthers aufmerksam geworden, dessen todesmutiges Bekenntnis er schon 1521 auf
dem Reichstag zu Worms selbst gehört hatte. Behutsam leitete Wilhelm in seiner
Grafschaft, die einschließlich des Siegerlandes damals kaum mehr als 20 000
Einwohner hatte und sich die Zahl der Pfarreien nicht über 30 belief, die
religiöse Erneuerung ein. Nicht nur die breite Volksmenge sondern selbst die
Geistlichen besaßen eine verhältnismäßig niedrige Bildungsstufe und rasche
Neuerungen in Glaubensfragen hätten diese einfachen Menschen überfordert. So
begann Wilhelm zunächst nur in den beiden wichtigsten Städten der Grafschaft,
in Dillenburg und Siegen, mit der religiösen Erneuerung. Im Oktober 1530 entließ
er die beiden bisherigen Pfarrer gegen ein Gnadengehalt in den Ruhestand und
setzte zwei Vertreter der neuen Lehre ein. Duldsam ließ Graf Wilhelm fast alle Landgeistliche in ihren Ämtern, obwohl nicht wenige durch ihre Unfähigkeit
und ihren anstößigen Lebenswandel, andere auch durch die gegensätzliche
Einstellung zur lutherischen Lehre keineswegs als brauchbare Helfer erschienen.
In diesen Zeiten des Übergangs machte sich der Mangel an geeigneten Geistlichen
und Lehrern im eigenen Lande besonders stark bemerkbar. Durch
Melanchthons
Vermittlung, der mit dem Dillenburger Rat Magister Wilhelm Knüttel (1505-1566)
in regem Briefwechsel stand, kam ein Schüler der beiden großen Wittenberger
Reformatoren, Magister Erasmus Sarcerius (1501-1559) aus Annaberg in Sachsen als
Helfer ins Land. Sarcerius gilt als eigentlicher Vollender der Reformation und
war auch der Neuschöpfer des Schulwesens der Dillenburger Grafschaft. 1536 zunächst
als Rektor an die Lateinschule zu Siegen berufen, wurde er vom Grafen, der seine
außerordentlichen Fähigkeiten alsbald erkannte, bereits 1537 zum Hofprediger
und Superintendanten in Dillenburg und 1541 zum geistlichen Inspektor des
gesamten Landes befördert. Doch fehlte es fast überall im Lande an guten
Predigern und Schulleuten.
Auch später unter Wilhelms
Sohn Graf Johann VI. (1535-1606) wurde noch ein Mangel an guten Schulleuten
beklagt. Neben der Siegener gab es noch Lateinschulen in der Residenzstadt
Dillenburg, in Herborn, Nassau und Haiger. Doch nur wenige Landeskinder waren
dazu zu bewegen, sich dem gelehrten Studium zu widmen. Von denen, die studieren
wollten, wurden die Armen mit für damalige Zeiten beträchtliche Stipendien
unterstützt für Herberge, Tisch und andere »Nothdurft«.
Zwei Jahrzehnte hatte Graf
Johann VI. an der von seinem Vater eingeführten lutherischen Glaubenslehre
festgehalten. Seitdem er jedoch durch die Feldzüge seines Bruders
Wilhelm von
Oranien (1533-1584) nach den Niederlanden und dem Flüchtlingsstrom von dort in
seine Lande tiefer in das Wesen der reformierten Glaubenslehre eingedrungen war,
hatte sich Johann allmählich immer mehr diesem Bekenntnis zugewandt. Mit einer
schlichteren Form des Gottesdienstes hoffte er eine ernste, innerliche und
opferbereite Art des kirchlichen Lebens zu finden. Im Sinne des reformierten
Bekenntnisses wurden die fünf bestehenden Lateinschulen des Landes umgestaltet
und neue in Hademar, Diez, Burbach und Fernbach gegründet. Um die Pfarrer,
Lehrer, Beamte und Ärzte der oranien-nassauischen Länder sowie der
benachbarten Grafschaften selbst ausbilden zu können, schuf Johann 1584, dem
Jahr, in dem sein älterer Bruder Wilhelm von Oranien in Delft einem Attentat
zum Opfer fiel, eine Akademie in Herborn. Diese universitätsähnliche Anstalt
war in der damaligen deutschen Universitätslandschaft etwas Neues, da sie eine
Kombination von Zubringerschule (Pädagogium) und Hochschule war.
Der Name Hohe Schule für die
Akademie bezeichnet die unsichere Rechtslage der Neugründung. Nach Qualität
und Struktur des Lehrkörpers war sie einer Universität sehr ähnlich,
besaß jedoch keine akademischen Privilegien, im besonderen kein
Promotionsrecht, das der Kaiser damals nur katholischen oder lutherischen, aber
nicht den reformierten (kalvinistischen) Gründungen verlieh.
Die Hohe Schule war anfangs die
einzige kalvinistische Bildungsstätte in Deutschland und gehörte bald zu den
wichtigsten in Europa. Sie unterhielt Beziehungen nach England und Schottland,
zu den hugenottischen Akademien in Frankreich - namentlich Sedan, zu
schweizerischen und niederländischen Hochschulen, zur Böhmischen Brüderunität
in Böhmen und Mähren, nach Ungarn und Siebenbürgen. Außer von deutschen
Studenten wurde sie von Tschechen, Ungarn, Polen, Dänen, Schotten, Niederländern
und Schweizern besucht. Es entstanden eine Theologische, eine Philosophische,
eine Juristische und eine Medizinische Fakultät, außerdem eine eigene
Druckerei, eine
Bibliothek,eine Apotheke sowie eine »Anatomie und Entbindungsanstalt«. Die Theologische
Fakultät errang aufgrund der Qualität ihrer Lehre alsbald europaweiten Ruhm.
In ihrer Blütezeit von 1584 bis 1626 wurde der Ruf der Alma Mater Iohannea in
ganz Europa bekannt.Die
Unterrichtssprache war Latein. Die Herborner Professoren wirkten stark in die
theologischen, staatsrechtlichen und philosophischen Diskussionen des Frühbarock
hinein. Von den zahlreichen Veröffentlichungen der Professoren, die meist aus
der akademischen Buchdruckerei des Christoph Rab (1552-1620) hervorgingen,
sind eine eigenständige Herborner Bibelübersetzung von
Johannes Piscator
(1546-1625), ein bedeutendes Frühwerk zur Staatsvertragslehre von
Johannes Althusius
(1557-1638) und die erste deutsche Enzyklopädie von
Johann Heinrich Alsted
(1588-1638) zu nennen. Der bedeutendste Student Herborns war
Johann Amos Comenius
(1592-1670) aus Mähren, der wohl nach wie vor bekannteste Förderer der wissenschaftlichen
Pädagogik. Er studierte hier von 1611 bis 1613 Theologie und Philosophie. Neben
Comenius studierten in Herborn so berühmte Persönlichkeiten wie der Hebraist
Johannes Buxtorf der Ältere aus
Basel (1564-1629, immatrikuliert 1585), Giovanni Diodati aus Genf (1576-1649,
1589/90 am Pädagogium, 1590 an der Hohen Schule immatrikuliert), der die Bibel ins Italienische übersetzte, und der Vater der
skandinavischen Hebraistik Kort Aslakssøn aus Bergen (latinisiert Konrad Aslacus,
1564-1624, immatrikuliert 1594).
Als Johannes Gottsleben
1587 nach Herborn kam und mit der Leitung des Pädagogiums
betraut wurde, musste er als Lehrer und Anhänger des
Ramismus bereits gute Referenzen mitgebracht haben.
Damals sollte auf Empfehlung des Theologieprofessors und späteren Rektors der
Hohen Schule Johannes Piscator der tüchtige Präzeptor der
dritten Klasse, Henrich Crantz aus Beuren, in Herborn gehalten werden und mit der
ersten Klasse auch das Amt des Pädagogearchen übernehmen. Doch Crantz
entschied sich anders und ging
1588 als Rektor an die Lateinschule nach Korbach. So wurde Johannes Gottsleben
- vielleicht durch Vermittlung seines gleichaltrigen Allendorfer Landsmannes und
Herborner Kaplans Bernhard Textor (1560-1602), der mit dem einflussreichen
Theologieprofessor Caspar Olevian (1536-1587) befreundet war - anstelle von Crantz
Pädagogearch und Präzeptor der ersten Klasse.
Graf
Johann VI. stellte zum Unterhalt der Akademie, die anfangs im
Herborner Schloss
untergebracht war, beträchtliche Mittel
zur Verfügung und verfolgte ihre Entwicklung mit großer Anteilnahme. Besonders
war er an der Berufung nur der gelehrtesten Männer interessiert. In den ersten
drei Jahren ihres Bestehens hatten sich bereits 137 Schüler an der Hohen Schule
eingeschrieben.
Im Schuljahr 1588 legte man auch für das Pädagogium eine gesonderte
Matrikel
an, in die Johannes Gottsleben die Namen der damals 135 Schüler und die
geltenden Schulgesetze eigenhändig eintrug.
Er selbst unterrichtete von 1587 bis 1589 in der ersten Klasse (Classis prima),
deren Schülerzahl in den Jahren 1588 bis 1599/1600 zwischen 23 und 32
schwankte. Nach seiner Ernennung zum Professor der Philosophie veranstaltete
Johannes Gottsleben ab 1589 auch
weiterhin philosophische Übungenin der ersten Klasse des Pädagogiums. Damals wurde öfter über die Grenzen der
beiden Schularten hinweg gelehrt und die »Classici« zusammen mit den Studenten unterrichtet. Als ordentlicher Professor der Philosophie
war Johannes
Gottsleben viele Jahre Mitglied des Senats. Er setzte über das Pädagogearchenamt
die im Senat getroffenen Entscheidungen in
der schola privata um. Einen auch nur eng begrenzten Entscheidungsraum besaß er
nicht. Er gab lediglich die getroffenen Entscheidungen weiter, über ihn lenkte
und kontrollierte der Senat die Geschicke des Pädagogiums. Nach der
Immatrikulation fiel ihm die Aufgabe zu, entsprechend dem Wissenstand des Schülers
eine Einweisung in die jeweilige Klasse zu verfügen. Trotz der Abhängigkeit
vom Senat kamen Johannes Gottsleben innerhalb des ihm unterstellten Pädagogiums
Funktionen zu, wie sie der Rektor für den universitären Bereich besaß. So
zeichnete er für den ordentlichen Ablauf des Schulbetriebs verantwortlich,
worunter auch die von ihm oder einem der beiden Präzeptoren der oberen Klassen
wöchentlich durchzuführenden Disputationen und Übungen fielen. Zugleich hatte
er die Aufsicht über die privaten Übungen der Präzeptoren. Auch leitete Johannes
Gottsleben das Verfahren der »censura«, der halbjährlich durchzuführenden
Prüfung der Schüler, indem er nach Einholung der Gutachten, die vom zuständigen
Präzeptor ausgestellt waren, den Schüler in einer Einzelprüfung nach seinem
Wissen, mehr aber noch nach seinem Urteilsvermögen (judicium) taxierte. Die
alleinige Entscheidung über die im Frühjahr anstehende Versetzung in die nächst höchste
Klasse hatte er allerdings nicht, sie verblieb bei den anwesenden Vertretern des
Senates, manchmal zudem bei den gräflichen Beamten, die ab und an sich über
den Lehrerfolg im Pädagogium informierten.
Hohe Schule Herborn
Nachdem die Hohe Schule vier
Jahre im Herborner Schloss wirkte, trat die Stadt Herborn 1588 dem
Grafen ein Gebäude als Schulhof ab, in dem
sich das bereits 1324 erwähnte
städtische Rathaus befand. Ein Fachwerkflügel und das westliche
Nebengebäude kamen um 1600 dazu. Im Erdgeschoss finden wir noch heute die Aula
mit Fürsten- und Professorenbildern und das Disputationsgestühl.
Weiterhin
bereitete Johann VI. die langfristige finanzielle Absicherung seiner Akademie
große Sorgen. Schon 1589 hatte er die Stadt Herborn wissen lassen, dass er mit
ihrem finanziellen Engagement für die Hohe Schule nicht zufrieden sei. Zugleich
kritisierte er die geringe Neigung der Herborner Einwohner, geeignete
Unterkünfte für die inzwischen stark angestiegene Zahl der Studenten zur
Verfügung zu stellen. Für den Fall, dass weder die finanzielle Beteiligung der
Stadt sich entschieden erhöhe noch die Frage der Unterbringung der
Studentenschaft sich günstiger gestalte, drohte der Landesherr mit der Verlegung
der Akademie nach Diez oder Siegen. In
Herborn scheint man die Drohung des Grafen nicht ernst genommen zu haben, sie
fand nur geringe Beachtung. Dies änderte sich jedoch schlagartig, als Johann
VI. im April 1594 die Verlegung der Schule nach Siegen verfügte. Nun
protestierte die Herborner Bürgerschaft heftig gegen diese Maßnahme, und auch
die Professoren sowie die Drucker zeigten wenig Neigung, nach Siegen umzuziehen.
Doch die Entscheidung war gefällt und musste nun auch von den Angehörigen der
Hohen Schule befolgt werden. Mit der Verlegung wollte Graf Ludwig auch die
Finanznot beheben, der die Hohe Schule seit Beginn ausgesetzt war. Die aus Dirstein und Thron, Beselich und Diez eingehenden, recht unregelmäßigen Einkünfte
konnten keineswegs die hohen Ausgaben decken. Graf Johann erhoffte sich nun
einen entscheidenden finanziellen Beitrag der recht finanzkräftigen Stadt an
der Sieg. Während der Herbstferien 1594 vollzog sich der von Dillenburg aus
geleitete Umzug von Herborn nach Siegen. Doch die weit gespannten Erwartungen,
die sich mit der Verlegung der Schule verbunden hatten, hielten nicht allzu
lange vor. Rasch wich die anfangs zutage getretene Euphorie. Zu allem Unglück
wurde der neue Standort der Schule während der Jahre 1596 und 1597 von einer länger
andauernden Pest überzogen und der Lehrbetrieb während dieser Zeit ganz
eingestellt. Nun entschloss sich Graf Johann VI. auf eine Rückverlegung der
Schule nach Herborn. 1599 kehrten die Theologen und Philosophen, aber auch größere
Teile der Studentenschaft nach Herborn zurück. Im März 1600 beorderte Graf
Johann den Juristen und Siegener Rektor Johannes Althusius nach Herborn. Ihm
folgten weitere Teile der Dozenten und Studenten und in Siegen verblieb nur noch
die örtliche Lateinschule.
Mit
dem Tod des Universitätsgründers erfolgte im Oktober 1606 die bereits 1597
testamentarisch festgelegte Teilung des Landes auf seine fünf Söhne.
Das Direktorat der Herborner Hohen Schule fiel auf die drei ältesten, auf Graf
Wilhelm Ludwig von Nassau-Dillenburg (1560-1620), Graf Johann VII. von
Nassau-Siegen (1561-1624) und Graf Georg von Nassau-Beilstein (1562-1623). Die
Schulverwaltung erleichterte sich dadurch, dass bei Abwesenheit eines der drei
Mitglieder des Direktorats auch die beiden verbleibenden bindende Entscheidungen
treffen konnten. Da Graf Wilhelm Ludwig als Statthalter in Friesland nur selten
und vorübergehend in Dillenburg weilte, nutzten Graf Johann VII. und Graf Georg
die Vorboten einer Pest Anfang November 1606 zu einer abermaligen Verlegung der
Schule nach Siegen. Zwar blieb die Druckerei wie schon zuvor in Herborn, die
Akademie sollte jedoch auf Wunsch des ehrgeizigen Johann VII. auf Dauer nach
Siegen überstellt werden. Der rasch gefällte Entschluss stieß bei dem
friesischen Statthalter Wilhelm Ludwig auf entschiedenen Widerspruch. Im Spätherbst
1608 zeichnete sich die endgültige Rückkehr der Akademie nach Herborn ab und
im Frühjahr 1609 wurde sie schließlich durchgeführt. Mit zur Rückkehr
beigetragen hatte auch die sinkende Studentenzahl in Siegen, das von den
Studenten wegen seiner zahlreichen Hammerwerke als denkbar ungeeigneter
Studienort angesehen wurde. Sie wünschten eine hübsch gelegene Stadt an einem
Wasserlauf mit »gesunder Luft«.
Heirat mit
Anna Maria Hoen in Herborn (1589), Kinder, Verwandtschaft
Die Senatssitzungen der Hohen
Schule, an denen Johannes Gottsleben als Pädagogearch und ordentlicher
Professor regelmäßig teilnahm, wurden vom Schulnotar protokolliert. In Herborn
hatte diese Funktion lange Jahre der Stadtschreiber und kaiserliche Notar Wilhelm
Hoen inne.
Über die Sitzungen des Senats entstand vermutlich die Bekanntschaft von Johannes
Gottsleben und Wilhelm Hoen. Der ortsfremde Johannes Gottsleben war mit seinen
stattlichen 29 Jahren noch Junggeselle und wohnte im Herborner Schloss, in dem
die Klassen des Pädagogiums gehalten wurden und sich auch die Amtswohnung des
Pädagogearchen befand. Mit einer Jahresbesoldung von 120 Gulden hatte er ein gutes
Auskommen und konnte auf Brautschau gehen. Gewiss nahm
er die Einladungen der angesehenen Beamtenfamilie Hoen zur
Unterrichtung ihrer Kinder und zu privaten Gesprächen gern an. So wird Johannes
Gottsleben Wilhelm Hoens um 1570/71 geborene Tochter Anna Maria kennen gelernt
haben und mit ihr am 14. September 1589 in Herborn einen
Hausstand gründen.
Seine Schwiegermutter Güthe Hoen ist eine geborene Behr, deren Vater Jost
Behr Unterschulmeister an der Lateinschule in Dillenburg war und zusammen mit ihrem
Schwiegervater Jost Hoen die Grafenkinder unterrichtete. Danach übernahm Jost
Behr von 1548 bis 1564 das Amt des
Stadtschreibers in Herborn. Später wird die Familie Behr einige
Herborner Bürgermeister stellen. Johannes
Gottslebens damals 13-Jähriger Schwager Andreas
Jacob Hoen, später selbst einmal kaiserlicher Notar und Herborner
Stadtschreiber, besuchte 1589 die 3. Klasse des Pädagogiums, die der wegen seiner
»tyrannischen und scharfrichterlichen Art« vom Grafen gerügte Johannes
Noviomagus leitete. Andreas Jacob Hoen wird
am 4. Dezember 1600 Margarethe Stöver, Tochter des Pfarrers zu Hilchenbach und
Ferndorf, Johann Georg Stöver, und der Demuth Stöver, geborene Hauff, heiraten.
Andreas Jacob Hoens Schwager
Johannes Stöver
(1572-1651) war reformierter Theologe und ein mutiger Kämpfer für die Rechte
seiner Kirche in schwerer Zeit. Stöver wandte sich in seinen Predigten gegen
die von seinem Landesherrn, dem zum Katholizismus konvertierten Graf Johann dem
Jüngere von Nassau-Siegen, wieder eingeführte römisch-katholische Lehre.
Nachdem am 6. Juni 1626 das so genannte Reformations-Edikt, das die Ausübung der
reformierten Religion im ganzen Siegerlande verbot, erschien, wurde Stöver 1627
des Landes verwiesen.
Anna Marias Großvater, den sie
selbst nicht mehr gekannt hatte, ist der am Hof hoch angesehene Magister, Pädagoge und Staatsmann Jost
Hoen (um 1500-1569).
Er beriet in schulischen und theologischen Fragen
Graf
Wilhelm den Reichen und unterrichtete als gräflicher Vertrauter die
Grafensöhne Prinz Wilhelm von Oranien,
Johann, Ludwig, Adolf und Heinrich. Die Großmutter Margaretha Hoen, geborene Welcker aus Diez, diente als Kammerfrau der
Gräfin Juliane von
Nassau-Dillenburg. Anna Marias Onkel Anton Hoen ist der nassau-diezische
Landschreiber, Rentmeister, Amtmann und Befehlshaber der Grafschaft Diez. Dessen
Sohn Philipp Heinrich,
der nach seinen Studien Nachfolger des Althusius auf der juristischen Professur in Herborn
wird und
als Dillenburger Kanzleidirektor über längere Zeit die Programmatik der
naussauischen Politik mit prägt, ist das berühmteste Mitglied der Familie Hoen. In der
»Classis prima« des Herborner Pädagogiums war Philipp Heinrich
Schüler seines eingeheirateten Vetters Johannes Gottsleben, dem er in
Verbundenheit seine im Jahre 1598 zu Jena erschienene »Dissertatio de variis
feudorum divisionibus« widmete.
Von Johannes und Anna Maria
Gottslebens Kindern kennen wir vier Söhne und vier Töchter.
Matthias Gottsleben (* um
1589/90; † ??)
Der älteste Sohn ist der um 1589/90 geborene Matthias. Während sein Vater
in der Residenzstadt Dillenburg die Stelle des Hofpredigers und Inspektors
bekleidete, danach Pfarrer in Krombach war, besuchte Matthias von 1598/99 bis
1607 das Pädagogium zu Herborn und Siegen. In der fünften Klasse unterrichtete
ihn Hans Bollig mit vierzehn Mitschülern. Zu der Zeit war der später berühmte
Theologe, Pädagoge und Polyhistor Johann Heinrich Alsted (1588-1638) Schüler von
Johannes Stöver (1572-1651) in der dritten Klasse des Pädagogiums. In der ersten
Klasse bereitete sich Matthias bei Georg Pasor (1570-1637), der als
Lexikograph und Grammatiker des Neuen Testaments bekannt wurde, auf die
akademische Reifeprüfung vor. Ab 1607 studierte Matthias Theologie bei
Johannes Piscator (1546-1625) an der damals wieder von Herborn nach Siegen verlagerten
Hohen Schule.
Über seinen späteren Lebensweg liegen uns keine Nachrichten vor.
Johann
Bernhard Gottsleben (* um 1595; † 1. November 1635)
Johann
Bernhard, der zweitälteste, erblickte um 1595 das Licht der Welt und
besaß einen recht regen Geist. Seine Leistungen am Pädagogium und während
des 1614 unter den Professoren Johannes Piscator und
Johann Jacob Hermannus
(1553-1630) begonnenen Theologiestudiums
an der Herborner Hohen Schule waren sehr
viel versprechend für eine spätere Anstellung im nassauischen Schul- und
Kirchendienst.
In der Residenzstadt Dillenburg wurde er bereits mit jungen Jahren Rektor der
dortigen Lateinschule und erhielt danach eine besser dotierte Pfarrstelle in
Frohnhausen. Anschließend war er an der Schlosskapelle Hofprediger beim fast
gleichaltrigen Landesherrn Graf Ludwig Heinrich (1594-1662) und erster
Pfarrer an der Stadtkirche. Die zum Andenken an seinen verehrten Lehrer
Johannes Piscator 1625 gedruckte Leichenpredigt bereicherte Johann Bernhard
Gottsleben mit einem lateinischen Trostgedicht. Das eigene schwere Schicksal, das er mit tiefem
Schmerz und unerschütterlichem Glauben ertrug, zerstörte seine gesamte Familie in den
verheerenden Jahren des Dreißigjährigen
Krieges. Nachdem ihm bereits fünf Kinder gestorben waren, sind 1635
innerhalb eines fünfwöchigen Zeitraums seine Frau Magdalena, geborene Beigarten,
und seine drei ihm verbliebenen Kinder Anna Margreth, Maria Magdalena und Johann
Philipp Opfer der damals wieder wütenden Pest geworden. Der so schwer
Geprüfte hat sein entsetzliches Unglück nicht lange überlebt. Durch die
stetige Berührung mit seiner pestkranken Familie wurde er selbst angesteckt. Am
1. November 1635 verstarb auch Johann Bernhard. Zehn Tage nach dem Tod seiner
letzten Tochter wurde er bei Frau und Kindern am 2. November 1635 bestattet.
Sein Familienname starb mit ihm in Dillenburg aus. Die von
seinem Freund Konrad Post(hius)
(1613-1669), dem
zweiten Dillenburger Pfarrer, in der Stadtkirche gehaltene »Christliche Klag-
und Trostpredigt« wurde 1636 mit Trauer- und Trostgedichten seiner Freunde
und Schüler Justus-Henricus Heidfeldt,
Georgius Corvinus, Johannes Daum und R. G. in der Offizin
Christoff Rab zu Herborn gedruckt.
Andreas Jacobus Gottsleben
(* um 1600; † ??)
Andreas Jacobus, der dritte Sohn, wurde um 1600 geboren und wechselte nach
bestandener Reifeprüfung am 7. Oktober 1620 von der ersten Klasse des Herborner
Pädagogiums zur Hohen Schule.
Im Jahre 1635 finden wir seinen Namen wieder in der zum
Gedenken an das Schicksal seines hoch angesehenen Bruders Johann Bernhard
gedruckten
Leichenpredigt. Er war - wie seine bereits 1631 und 1634 im Krieg
umgekommenen Vettern Erasmus und Philipp Heinrich (II.)
Hoen - Soldat und diente als Fähnrich im niederländischen
Söldnerheer (»Unirten Provincien Kriegsvolck«) zu Moers. Hier in Moers heiratete
Andreas Jacobus am 8. Februar 1632 eine Catharina Schricks, die wohl kurz nach
der Heirat verstorben ist. Bereits am 29. Januar 1634 heiratete Andreas Jacob -
wiederum in Moers - Wilhelmina Braems.
Die protestantische Republik der
Vereinigten Niederlande bekämpfte nach Bruch des spanisch-niederländischen
Waffenstillstands unter ihrem Statthalter Friedrich Heinrich (1584-1647), Prinz
von Oranien, den 1621 wieder aufgeflammten spanischen Machtanspruch. Die Niederländer
eroberten in diesem Krieg die Festungen Herzogenbusch und Wesel (1629),
Maastrich (1632), Breda, Rheinberg und die Schenkenschanze (1637). An diesen
Feldzügen wird auch Andreas Jacobus teilgenommen haben, seine Spur verliert
sich 1635 nach seinem Besuch in Dillenburg in den Wirren des Krieges.
Margaretha Gottsleben (* um 1602;
† 28. Februar 1678)
Tochter
Margaretha ist das vierte uns bekannte Kind. Um 1602 geboren, heiratete sie
etwa fünfzehn Jahre nach dem Tod ihres Vaters im Oktober 1627 den
wohlhabenden Bäcker und späteren Herborner Bürgermeister Jost Rücker.
Von ihren Kindern kennen wir vier Töchter, von denen zwei bereits im frühen
Alter verstarben, und den um 1637 in Herborn geborenen Johann Jacob,
der später Pfarrer und Inspektor in Nassau-Beilstein wird. Margarete lebte bis
zu ihrem Tod am 28. Februar 1678 in Herborn.
Joist (Jodocus) Wilhelm Gottsleben
(~ 7. Juli 1605 in Krombach; † ??)
In
Krombach, wohin Johannes Gottsleben 1604 versetzt wurde, erfolgte im Juli
1605 die Taufe seines jünsten Sohnes Joist (Jodocus) Wilhelm. Joist besuchte von
1615 an das Pädagogium zu Herborn und wechselte 1623 hinüber zur Hohen Schule. Aus seinem weiteren Leben sind uns keine Überlieferungen bekannt.
Magdalena
Gottsleben (~ 17. November 1606 in Krombach; † ??)
Von
Magdalena kennen wir nur das Taufdatum. Aus ihrem weiteren Leben sind uns keine Überlieferungen bekannt.
Anna-Christina Gottsleben (~ 17. September 1609 in Krombach; † ??)
Auch
von Anna-Christina kennen wir nur ihr Taufdatum. Von ihrem weiteren Leben sind uns keine Überlieferungen bekannt.
Clara Gottsleben (~
14. Juni 1611 in Krombach; † ??)
Clara
wurde sechs Monate vor dem Tod ihres Vaters getauft. Von ihrem weiteren Leben sind uns
ebenfalls keine Überlieferungen bekannt.
Hofprediger in der Residenzstadt Dillenburg und Inspektor (1599-1604)
Von
Graf Johann VI. zum Hofprediger und Inspektor der Kirchenklasse nach
Dillenburg berufen, räumte Johannes Gottsleben im Schuljahr 1599/1600
seine Herborner Professorenstelle und übergab seinem jungen Nachfolger und
ehemaligen Studenten, dem wegen seiner umfassenden Gelehrsamkeit allseits
bewunderten Pädagogearchen und Professor der Theologie
Matthias Martinius (1572-1630), die Schülerschaft des Pädagogiums.
Das Amt des Hofpredigers und Inspektors übernahm Johannes Gottsleben von
seinem gleichaltrigen Allendorfer Landsmann und Professor für praktische
Theologie,
Bernhard Textor (1560-1602), und übte es fünf
Jahre lang bis 1604 aus. Sein Nachfolger wurde der im elsässischen Straßburg
geborene Prediger Johann Jacob Hermannus. Als am Hof beliebter Kanzelredner
hielt Hermannus am 28. Oktober 1606 dem Grafen Johann VI. in der Dillenburger
Kirche die Leichenrede. Auch nach seiner Versetzung an die Herborner Stadtkirche
und Übernahme einer Professorenstelle an der Hohen Schule versah Hermannus über
lange Jahre weiterhin das Amt des Dillenburger Hofpredigers. Bei Hermannus, der
1617 völlig erblindete, disputierte im Jahre 1620 Johannes Gottslebens
zweitältester Sohn Johann Bernhard.
Dillenburg um 1575
Pfarrer in Krombach (1604-1612)
Im
März 1604 erhielt
Johannes Gottsleben noch den Auftrag, ein Kircheninventarium für die Dillenburger
Pfarrklasse zu erstellen. Diese Arbeit konnte er nicht mehr beginnen, da er kurz
darauf als Pfarrer an das Kirchspiel
Krombach bei
Siegen versetzt wurde. Das Pfarramt auf dem Lande hat seinen Anlagen
wenig entsprochen. Mit seiner professoralen Art zu predigen erreichte er die ihm
anvertraute bäuerliche Gemeinde nicht. Das Verhältnis der Krombacher zu ihrem geistlichen Hirten
wird eher
unterkühlt distanziert als vertrauensvoll gewesen sein. Während einer am 10. November 1611
durchgeführten Kirchenrevision
beschwerte sich die Gemeinde über ihn bei Hofe. Seine Predigten seien zu »präcipitant
und scholastisch, die Katechisation ginge schlecht«. Die abschätzige Bewertung
seiner Amtsführung kam für Johannes Gottsleben völlig
überraschend und hatte ihn tief getroffen, »es tat ihm sehr leid, weil ihm
die Gemeinde in den sieben Jahren seiner Amtsführung kein Wort darüber gesagt
hätte« (Steubing: Kirchengeschichte, S. 302). In Krombach nicht anerkannt und
fremd geblieben, verstarb Johannes Gottsleben kurz nach der Kirchenrevision verbittert am 20. Februar 1612.
Sein Nachfolger wurde der Siegener Diakon Johannes Buch.
Pfarrkirche Krombach
|
Deckblatt des Krombacher
Totenbuchs 1597-1672
(Ortsfamilienbuch Krombach,
1461–1795) |
_________________________
Handschrift von Johannes Gottsleben
1605
(Ortsfamilienbuch Krombach,
1461–1795) |
Nach
dem Tod ihres Mannes zog die Witwe Anna Maria Gottsleben mit den jüngsten Kindern wieder zurück in ihre Heimatstadt
Herborn, wo ihr Bruder Andreas Jacob Hoen als kaiserlicher Notar und
Stadtschreiber amtierte. Auch besuchten ihre Söhne Matthias und Johann Bernhard
hier das Pädagogium und die
Hohe Schule. Obwohl Anna Maria Gottsleben beim Tod ihres Mannes gerade 42 Jahre
alt war, hat sie nicht wieder geheiratet. Leider sind uns keine persönlichen Aufzeichnungen, die
Johannes Gottsleben während seiner
langen Berufsjahre gewiss angefertigt haben wird, erhalten geblieben. Sein Nachlass und seine
Büchersammlung, die nach Schätzung seiner Frau über 300 Gulden wert waren, verbrannten bei der großen Feuersbrunst in Herborn.
Herborn
wurde unter den nassauischen Städten von den Wirren des Dreißigjährigen
Krieges am schwersten heimgesucht. Begünstigt durch seine Lage an der großen
Heer- und Handelsstraße Köln-Leipzig, sah es in den Jahren 1623-1646 fast beständig
Infanterie- und Kavallerietruppen in seinen Mauern und hatte trotz der hohen
Kriegssteuern, die es zahlte, um von Durchmärschen und Einquartierungen befreit
zu bleiben, alle Leiden zu tragen, die die Beherbergung bunt zusammen gewürfelter
Kriegsvölker mit sich brachte. Durch einen Unfall bei einer militärischen
Einquartierung kam es am 20. August 1626 zum größten bekannten Schadensfall in
der Geschichte der Stadt, wobei 214 Gebäude nieder brannten.
In dem vom Bürgermeister und dem Rat der Stadt
Herborn für die Kollektoren Johannes Lott und Gerhard Holler ausgestellten
Beglaubigungsschreiben heißt es: »Kundt und zu wissen sey hiemit öffentlich,
nachdem leider gott erbarms mehr alss zuviel bekant, welcher gestalt jüngsthin
den 20ten Augusti zu nachts umb neun uhr dieses 1626 jhars bey einlägerung des
kayserlichen kriegsvolcks durch verwahrlosung des lichts von den reuterjungen in
einem stall hinder dem rahtthaus der statt Herborn ein groser hochbetrübter und
gantz verderblicher brandt uffgangen, dass nicht allein ermeltes rahtthaus sampt
allem, was darin gewesen, sondern auch die begräbnuskirch, statttächer uff türn
und mauern und alle bew daherumb schier die halbe statt in die äsch gelegt
worden, wie leider der augenschein und anzahl der bew mehr als zu viel
aussweiset.«
Anna Maria Gottsleben verlor in
diesem Inferno außer ihrem Wohnhaus all ihre Leinwand, »ohne ein etwas, so sie zu
Dillenberg«
hatte, ferner allen Hausrat, Zinnwerk, Kleidung »und alles, sampt ihres hern sel. buher
allzumahl«. Ihr Gesamtschaden
wird mit 1500 Gulden angegeben.
Eine Summe, die damals etwa zwölf Jahresbesoldungen eines Professors entsprach.
Die Oberförster
Schilt und Nol lieferten Anna Maria im Jahre 1630 Holz zum
Wiederaufbau ihres abgebrannten Hauses. Sie
wird
in ihrem Alter die erlittenen Verluste nicht mehr verkraftet haben und starb
noch vor der großen Pest, der 1635 die Familie ihres Sohnes
Johann Bernhard in
Dillenburg zum
Opfer fiel.
Liste der
Abendmahlsteilnehmer in Herborn
vom 22. August 1630:
21. Anna Mari Ehrn Gottlebii s[eligen] witwe,
22. Margret ihr tochter Jost rückers hausfr[au]
(Hinweis von Bastian
Ditthardt, Bearbeiter des Familienbuches Herborn) |
Quellen
Dokumente der Hohen Schule
Herborn werden im Hessischen Haupt-Staatsarchiv Wiesbaden aufbewahrt.
Findmittel: Rep. um 1890 (handschriftlich), nach Sachgruppen gegliedert. I. Gründung,
II. Beziehungen zur Landesherrschaft, III. Verfassung und Verwaltung der Hohen
Schule, IV. Besondere Schicksale der Schule, V. Verbindung zum Paedagogium, VI.
Rechnungen.
Inhalt: 38 m Akten 1584-1817, vor allem über Gründung, Verfassung, Verwaltung
und Schulvermögen, Personalakten der Professoren, Rechnungen von Schulklassen
ab 1604 und des Klosters Thron 1750-1817.
Literatur