Familienforschung
Gottsleben - Gayes - Engelbarts - Voß


Home Nach oben


Ehe, die große Haushaltsfamilie und die
Familie als Produktionsstätte
in der frühen Neuzeit

Auf dem Tridentiner Konzil von 1563 wurde durch Eingriff in das Eheschließungsrecht der kirchlichen Trauung gegenüber der formlosen Verlobung Rechtskraft verliehen. Den Geistlichen war damit die Kontrolle über etwaige Ehehindernisse und bigamistische Vorfälle in die Hand gegeben. Weltliche Verlobung als Rechtsgeschäft und kirchliche Trauung verschmolzen zu einem eheschließenden Vorgang nach geistlichem Recht. Die Beschlüsse des Tridentiner Konzils wurden von Luther und den anderen protestantischen Reformern nicht anerkannt.
   
Für die Reformatoren blieb die Eheschließung ein durchaus weltliches Rechtsgeschäft. Luther sagte hierzu in seiner Schrift »Von Ehesachen« (1530): »(...) dass eine offentlich verlobte Dirn heisse eine Ehefrau, und dass solch offentlich Verlöbniss, wo es frei und rein ist von andern zuvor beschlafen Dirnen, stifte eine rechte redliche Ehe, darumb, so ist er (der Verlobte) auch gewisslich ein rechter Ehemann, und weil sich’s bei uns nicht ziemet, mehr denn ein einziges Weib zu haben, so ist er seines Leibes nicht mächtig, und kann kein ander berühren ohne Ehebruch.«
   
Das weibliche Geschlecht widmete sich im 16. Jahrhundert »ganz und unermüdet der Haushaltung und allem, was darauf Bezug hat. Die Aufsicht und Erziehung der Kinder, der Knaben, so lange sie klein sind, und der Töchter, bis sie heurathen, ist seine vornehmste Sorge; und diesem wichtigen Geschäft widmen die Frauen viel Zeit. Den ersten Unterricht im Lesen, falls die Mutter selbst lesen kann, erhalten wenigstens die Töchter immer von ihr, so auch den Unterricht im Gebet, dies müssen die Kinder alle Morgen und Abend in Gegenwart der Mütter verrichten. Sie weißt jedem die Arbeit an, womit es sich den Tag über beschäftigen soll, und sieht noch, dass iedes bis auf die Feyerstunde solche vollende«.
   
Das Idealbild der umsichtigen Hausfrau setzte nicht nur außergewöhnlichen Fleiß, Organisationsvermögen und wachen sparsamen Geschäftssinn voraus, sondern auch große pädagogische Fähigkeiten: das alles aber im Geiste absoluter Ein- und Unterordnung und Ehrbarkeit. Das wirtschaftliche Leben der Städte im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit bestimmten die Zünfte, deren Mitglieder gleichzeitig Handwerker und Gewerbetreibende waren. Streng regelte die Zunftorganisation das vielgliedrige Gefüge dieser Produktions- und Verkaufsunternehmen, in denen die Meisterfrauen ihren festen Platz einnahmen und in die die Kinder unmerklich spielend und lernend hineinwuchsen. Lehrjunge, Geselle und Dienstmagd ordneten sich gleichfalls in diesen gemeinsam wirtschaftenden Verband ein. Von weiterreichendem Handel und Fernverkehr war das zünftige Handwerk allerdings streng geschieden, weshalb der Einzelhandwerker auch kaum zu finanziellem Reichtum gelangte; das blieb in den Städten einigen wenigen Patrizierfamilien vorbehalten, die außerhalb der hemmenden Zunftorganisation standen.
   
Die Familie verstand sich als Produktionsgemeinschaft, als Besitzer und Nutzer der Produktionsmittel. Hausvater und Hausmutter standen diesem Gemeinwesen vor und organisierten die Haushaltsführung als eine Ökonomik im Sinne des »oikos«. Das lateinische »familia«, das Luther noch nicht geläufig war, trat sprachlich erst seit dem späten 16. Jahrhundert auf, zunächst in der lateinischen Wortform – und ebenfalls in der lateinischen Bedeutung von »Hausgenossenschaft«, zu der auch der »famul(us)«, der Diener und Schüler, gehörte. Nach der lateinischen Wortform scheint dann bis weit ins 17. Jahrhundert die französische Aussprache »famille« überwogen zu haben, während sich Familie in die deutsche Umgangssprache wohl erst nach der Französischen Revolution im wahren Sinne fest »einbürgerte« und jene Gefühlsbeziehung zu Gemütlichkeit und häuslich warmer Geborgenheit erhielt, mit der der Begriff uns Heutigen verbunden ist. Im alten »oikos« stand das Gefühl nicht an der ersten Stelle im familiären Wertsystem. Stets hatte es sich dem Hausinteresse im verpflichtenden Sinne der wirtschaftenden Gemeinschaft zu beugen. Das galt für alle individuellen Entscheidungen, besonders für Ehepartner- und Berufswahl, bei denen sich Rationalität und Sentimentalität im besten Falle vereinen konnten oder aber das Gefühl selbstverständlich zurücktreten musste.

Familienleben um 1600

Literatur

bullet

Weber-Kellermann, Ingeborg: Die Familie. Geschichte, Geschichten und Bilder. Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1976, S 36 ff.

Stand: 2005
Klaus Gottsleben
Copyright © gottsleben-genealogie.de/com