Herborn
Die
»Herborner Mark« wird 1048 urkundlich zum ersten Male erwähnt und muss bereits
vor 914 bestanden haben. Zur Herborner Mark gehörte auch der Kern des Hohen
Westerwaldes um Bad Marienberg. Die Herborner Mark gelangte im 12. Jahrhundert
über die Landgrafen von Thüringen als Lehen an die Grafen von Nassau, die 1251
beim deutschen König die Stadtrechte für Herborn erwirkten. Der bereits recht
große Ort erhielt in den folgenden Jahrzehnten eine Stadtbefestigung, einen
Mühlgraben mit der bedeutendsten Wasserkraftanlage alten Typs im Dillgebiet und
eine landesherrliche Burg. Die Burganlage, von der heute nur noch der im Kern
gotische Palastbau erhalten ist, fügte sich dem Zug der Stadtbefestigung ein und
war – als Folge nassauischer Landesteilungen – im 14. und 15. Jahrhundert
gelegentlich Herrschaftssitz. Zur Burg gehörten mehrere als Lehen an Burgmannen
vergebene Adelssitze auf dem Kirch- und Schulberg. Das Schloss wechselte in seiner Geschichte häufig seine Besitzer, seine
Funktion und sein Aussehen. So war es Witwensitz, Waffenschmiede und möglicherweise
sogar Münzpräge. Außerdem wurden in ihm Dienstwohnungen für den
Herborner Amtmann und zu anderer Zeit für die Professoren der Hohen Schule
eingerichtet. Auch war hier die Bibliothek der Hohen Schule untergebracht.
Herborner
Schloss
Seine
Rechte an der Herborner Pfarrkirche gab Graf Heinrich der Reiche von Nassau
bereits 1231 an den Deutschen Ritterorden weiter, der hier eine kleine
Niederlassung aufbaute. Im 14. Jahrhundert wurden auch die Bettelorden in
Herborn aktiv: Die Marburger Dominikaner und die Wetzlarer Franziskaner erwarben
hier jeweils ein Haus als Herberge für die im Bezirk bettelnd und predigend
umherziehenden Brüder. Ebenfalls im 14. Jahrhundert gab es in der Stadt Beginen,
im 15. eine in einer Klause bei der Kirche lebende Bruderschaft.
Herborner
Pfarrkirche
Im
14. Jahrhundert wurde die Herstellung von Wolltuch zum Hauptgewerbe. Die Ausfuhr
ging über die Frankfurter Messe in den Süden. Die ersten Zünfte bildeten sich im
15. Jahrhundert und erhielten landesherrliche Privilegien. Im 14. und 15.
Jahrhundert besaß Herborn eine Schule, für die Körperpflege eine öffentliche
Badestube und es entwickelten sich Anfänge eines Krankenhauswesens. Das erste
Rathaus wird 1324 erwähnt. Das erste nachweisbare kommunale Gebäude stand seit
1446 im jetzigen Schulhof; sein Dach ist noch heute auf dem Aulabau des
Kolleggebäudes der Hohen Schule erhalten.
Während
der Reformation wurden die Kirchsprengel neu geordnet, die Orden verschwanden
aus Herborn.
1584 erfolgte die Gründung der Hohen Schule zu Herborn. Diese
universitätsähnliche Anstalt war im Deutschen Reicht mit ihrer Kombination von
Zubringerschule (Pädagogium) und Hochschule etwas Neues.
Der
30jährige Krieg bedrohte nicht nur die Hohe Schule in ihrem Bestand, sondern
brachte auch der Stadt schwere Zeiten. Durch einen Unfall bei einer
militärischen Einquartierung kam es 1626 zum größten bekannten Schadensfall in
der Geschichte der Stadt: 214 Gebäude brannten nieder. Wenig später – in den
Jahren 1629 bis 1631 – erlebten Stadt und Amt eine unerhörte Welle von
Hexenprozessen. Nach einer Serie von Plünderungen, Seuchen und
Kriegsaktionen erlebte die Stadt in den letzten Jahren vor dem Westfälischen
Frieden ruhigere Zeiten: Die Bürgerschaft hatte etwa 50 schwedische Soldaten
nach einem schweren Gefecht vor dem Obertor gesund gepflegt und stand seitdem
unter dem persönlichen Schutz des schwedischen Oberkommandierenden Wrangel. Dies
war übrigens der Anfang von Herborns Rolle als »Lazarettstadt« bis zum Ende des
Zweiten Weltkrieges.
Zu
der Erholungsphase nach dem Großen Krieg gehörte u. a. auch die bis in das frühe
18. Jahrhundert andauernde vereinzelte Einwanderung hugenottischer
Glaubensflüchtlinge aus Frankreich und die Entstehung einer kleinen jüdischen
Gemeinde. Die Hohe Schule konnte an ihre früheren Glanzzeiten nicht mehr
anknüpfen, konsolidierte sich aber zu einer regional immer noch bedeutenden
Akademie.
Im
frühen 18. Jahrhundert wurden die alten Gewerbe, zu denen neben der
Wolltuchmacherei die Rot- und Weißgerberei, die Schuhmacherei und das Bäcker-
und Brauerhandwerk gehörten, durch das Aufkommen der Strumpfwirkerei
(Wollstrümpfe auf Maschinen gestrickt!) und der Tonpfeifenbrennerei als neue
Exportgewerbe wesentlich ergänzt.
Die
gewerblichen Exporte Herborns gingen nun weniger über die Frankfurter Messe,
sondern mehr über Aufkäufer nordwestdeutscher Handelshäuser in die
Absatzgebiete. Wichtig war auch für längere Zeit die Papierfabrikation in drei
um Herborn liegenden Papiermühlen. Herborner Papier ging zeitweise bis Hamburg
und Bremen, Herborner Strümpfe wurden bis nach Brabant verkauft, Tonpfeifen bis
nach Braunschweig.
Ein
Groß- und Einzelhandel namentlich in Kolonialwaren (vor allem Kaffee und Tabak)
blühte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf. Herborns Charakter als
Handels- und Gewerbestadt trat damals immer mehr hervor, während die Hohe Schule
um ihren Fortbestand rang und immer weniger Studenten anzog. Es fehlten vor
allem die Finanzmittel, um attraktive Gehälter für qualifizierte Lehrkräfte zu
zahlen und um neue zukunftsträchtige Einrichtungen zu schaffen. So kam es nur
zur Schaffung eines kleinen Anatomischen Instituts, einer Hebammenlehranstalt
sowie einer bescheidenen physikalischen Sammlung.
Herborn um 1640
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Englisches Kurzprofil von Nassau und der
Hohen Schule in ihrer Frühzeit
The German region of Nassau, which extends from Wiesbaden in the south to
Siegen in the north, and from the Rhine in the west to the Hessian border
near Marburg in the east, is all but forgotten in Germany, while the
Netherlands remember "Wilhelmus von Nassauen" in their national anthem as
the hero of their War of Independence. William of Nassau-Orange I was born
in Dillenburg near Herborn, where his brother
John founded a Calvinist
university in 1584, like those of Geneva and Leiden, and his great-grandson
William of Orange III was made king of England in the Glorious Revolution of
1688.
Moreover,
no mention is made of the fact that the Calvinist University of Herborn once
was a Hebrew and Aramaic center of European importance, when
Johann Piscator, translator of the official Bern Bible, was its head from
1584-1625. Besides John Amos Comenius, other great scholars were educated in
Herborn, such as the Hebraists Johannes Buxtorf, the elder in Basle, Kort
Aslakssøn from Bergen in Norway, later professor in Copenhagen and father of
Scandinavian Hebraistics, and Giovanni Diodati of Geneva, the famous
translator of the Bible into Italian. Appropriately, the street behind the
old University is the Chaldäergasse or Chaldean (i. e. Aramaic) Lane. On
Aslakssøn, cf. Encyclopaedia Judaica, vol. 3 at 751.
The books printed at the Herborn University Press by
Corvinus played an
important role in the early America of the Pilgrim Fathers, as researched by
Perry Miller in his book on the New England Mind in the 17th century.
Governor Winthrop of Massachusetts tried to make Comenius president of
Harvard College, and the books of Johann Heinrich Alsted, who was his
teacher at Herborn, were popular among their fellow Puritans, e. g. his
Encyclopaedia printed in Herborn. English Comenians were the first to work
for admitting Jews to England under Oliver Cromwell, and spread the
philosophy of Francis Bacon. The political theory of Puritan Protestantism
as formulated by John Milton was preceded by
Johannes Althusius, who was law
professor in Herborn, where he published his "Politica Methodice Digesta" in
1603, which inspired the political thought of the Puritan revolution and the
Pilgrim Fathers.
Conversely, however well Herborn fits into the intellectual history of
Holland, Switzerland, England, and New England, it remained excluded from
the mainstream of German thought: Servility to monarchic absolutism as well
as dictatorial totalitarianism has characterized the metaphysical mainstream
of German philosophy from the 17th century onwards down to Hegel and
Heidegger. The democratic tradition of Althusius was suppressed in Germany,
until the great jurist Otto von Gierke rescued him from oblivion in 1880.
Quelle: Ewald Metzler,
Dr. Jur., Richter am Amtsgericht Herborn a.D., Text aus dem Internet.
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Stand: 2005
Klaus Gottsleben
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