Ludwig Erasmus Gottsleben
1836-1911
Schauspieler
und Schriftsteller in Wien
Ludwig Gottsleben
Leben
Ludwig Erasmus Gottsleben,
geboren am 24. November 1836 in Wien-Schottenfeld (Wien
7, Burggasse 88, Neustiftgasse 99)
entstammt einer bürgerlichen Handwerkerfamilie. Sein Vater Ludwig Gottsleben war
Wiener und übte das Gewerbe eines Graveurs aus. Die Mutter Susanne, geborene
Trog, stammte aus der Schweiz. Gottsleben
wollte ursprünglich Maler werden und besuchte die kaiserliche Akademie der
bildenden Künste in Wien.
Zuerst arbeitete er als
Illustrator bei Moriz
Saphirs »Montagkrebs«.
Doch hatte er wohl mehr Talent zur darstellenden als zur bildenden Kunst. Als er mit großem Erfolg im Geselligkeitsverein »Die Biedermeier« in der
Rolle des »Christoferl« in »Einen Jux will er sich machen« öffentlich auftrat -
sein Partner »Weinberl« war Josef Lewinsky -, wurde ihm so einstimmige
Anerkennung zuteil, dass er sich entschloss, die Akademie zu verlassen und
Schauspieler zu werden. Besonders gefiel sein drolliges Wesen über alle Maßen. Sein erstes Engagement erhielt er am Fünfhauser
Sommertheater, wo er am 23. Juli 1859 als »Schneiderlehrling Franzl« im
Flammschen Lebensbild »Eine Wienerin« debütierte. Ludwig E. Gottsleben
hatte Erfolg, seine wirkliche komische Begabung und seine eigentümlich groteske
Art zu sprechen gefielen immer mehr, und bald zählte er zu den beliebtesten
Komikern Wiens.
___________________________________
Ludwig Gottsleben
um 1900 |
Couplet »Dös is z'dumm!« |
Handschrift
1910 |
___________________________
Handschrift
1897 |
Handschrift
1905 |
Ludwig E. Gottsleben ist
während seines Theaterlebens aus Wien nie recht
herausgekommen und war an fast allen Wiener Vorstadtbühnen engagiert, so am
Theater an der Wien, am Karltheater, an der komischen Oper, am Strampfertheater,
am Sommertheater in Venedig in Wien und wiederholt am Theater in der Josefstadt,
sowie am Fürst- und späteren Jantschtheater. Die Gunst des Publikums wuchs je
länger er in Wien tätig war und erreichte wohl ihren Höhepunkt zur Zeit
seines Wirkens am Fürsttheater und am Theater in der Josefstadt unter Blasel.
War jedoch ab und zu in Wien kein Platz für seine darstellerische Tätigkeit,
so begab er sich meistens zur Sommerzeit in die österreichische Provinz und
erzielte dort sowohl als Schauspieler als auch in musikalisch-deklamatorischen
Soireen mit Solovorträgen und mit seinem »urg'spaßigen« Koupletvortrag, der
wie seine ganze Darstellungsart an die Darbietungen der Komiker des Vormärz
erinnert, stürmischen Beifall.
Geheiratet
hat Ludwig
E. Gottsleben im Jahre 1871 Ludmilla Susanne Mayer. Im dritten Ehejahr wurde am
13. September 1874 ihr einziges Kind, die Tochter Ludmilla, geboren, an der er
mit besonderer Zuneigung hing. Seine Frau verstarb bereits 1881, kaum
34-Jährig, an Lungentuberkulose. Ludwig E. Gottsleben ertrug diesen Verlust
schwer und blieb fortan Witwer. Ein Leiden (Struma), zu dem er jeher die Anlage
besaß, verursachte ihm häufig Atembeschwerden, die er auf der Bühne besonders
drollig in sein Sprechen einzubinden wusste.
Besondere
Erwähnung verdient sein Wirken während der 1892 ausgerichteten Musik- und
Theater-Ausstellung in Wien. Er erschien damals als »Hanswurst« auf einer
kleinen, in »Alt-Wien« errichteten Bühne, wo er durch Aufführung von alten
Schwänken und Possen, namentlich aber durch Beteiligung an der Vorführung der
Stegreifkomödie alltäglich wahre Stürme der Heiterkeit hervorrief.
Ludwig Gottsleben
der letzte Wiener Hanswurst |
Die Wiener Komikergarde
im letzten Viertel des
19. Jahrhunderts |
Ludwig E. Gottsleben blieb »heiter auch in
ernster Zeit«, und wenn es ihm gar oft nicht gelang, ein nur halbwegs passendes
Engagement zu finden, so verlor er doch niemals den guten, urechten Wiener
Humor. Im Jahre 1899 feierte er sein 40-jähriges Schauspielerjubiläum, das
durch Veranstaltung einer Matinee im Karltheater festlich begangen wurde. Er
erschien als »Diener« in Nestroys »Frühere Verhältnisse« und in dem von
ihm verfassten Scherzspiel »In der Theaterschule«. Das Publikum jubelte ihm
zu.
Im
Jahre 1903 schrieb Ludwig Eisenberg: »Wenn Gottsleben heute nicht mehr Gelegenheit findet, Figuren
des Wiener Volksstückes in seiner harmlosen, wenn auch mitunter drastischen und
derben Komik zu verkörpern, so freut man sich doch immer, wenn man diesem Stück
lustigster, vergangener Wiener Theaterzeit da und dort auf der Bühne begegnet,
und dass Gottsleben noch immer in völliger körperlicher und geistiger
Frische in seiner gegenwärtig vielleicht etwas veralteten Darstellungsart den
unverwüstlichen Alten zeigt. Ragt er doch gewissermaßen wie ein Wahrzeichen
einer längst vergangenen Zeit in unsere Tage hinein.«
Seine
äußere Erscheinung war sehr markant und entsprach ganz der Vorstellung, die man
sich von einem Alt-Wiener Komiker macht. Die charakteristischen Merkmale waren:
kurze, durch Vorliebe für gutes und reichliches Essen schon früh beleibte
Gestalt, watscheliger Gang, volles rotes Gesicht, aus der kleine, von buschigen
Brauen überwölbte Augen vergnüglich blickten, Hängebacken, verfilzter Hals, so
dass ihm beim Sprechen und besonders beim Singen immer der Atem ausging, was
indes seine Drolligkeit erhöhte. Erst in seinen letzten Lebensjahren veränderte
sich sein Aussehen. Er wurde infolge seiner Krankheit und wohl auch der
schlechten Lebensverhältnisse blass und mager. Von seinen Eigenschaften
berichtet er selbst: »Ein loses Maul, das war - mit Verlaub - ich selbst. Die
uns Wienerkindern in der goldenen Jugendzeit eigene Zwanglosigkeit, die sich in
pfeilschnellfertigen Urteilen und überlauter Äußerung derselben Luft macht, ward
auch mir in wahrhaft beklagenswerter Weise zu Teil geworden.« Besonders von
Kollegen aufgehetzt, griff er in jeden Streit ein oder reizte jemanden so lange,
bis es zum Streit kam. Da er jedoch im Grunde seines Wesens gutmütig war, gab
sich die Streit- und Spottlust mit zunehmender Reife gänzlich. Er wurde wegen
seiner Hilfsbereitschaft, Pflichttreue und Ehrlichkeit ein von allen geachteter
und geliebter Kollege, der sich auch reizbaren und herrischen Charakteren
anzupassen vermochte. Er besaß regen Familiensinn und hing mit großer Liebe an
seiner Vaterstadt Wien, wie sein Ausspruch anlässlich des Ankaufs seines
Porträts für die städtischen Sammlungen aufzeigt. Sein Humor war urwüchsig,
manchmal derb, jedoch ebenfalls immer gutmütig und eher melancholisch als
scharf. Später wich er durch Armut und Krankheit pathetisch-sentimentalen
Stimmungen.
Ludwig E. Gottsleben
lebte zuletzt in Wien 8,
Floriangasse 17. Er starb am 26.
Februar 1911 im Allgemeinen
Krankenhaus
Wien 9, Alser Straße 4
und erhielt ein Ehrengrab im
Zentralfriedhof, das in Pflege
der Gemeinde Wien steht. Das Begräbnis erfolgte am 1. März 1911 von der Alserkirche aus. In der um seine Tochter
Ludmilla Gottsleben
versammelten Trauergemeinde waren zu sehen der Wiener Vizebürgermeister Hierhammer, Hofrat von Radler, Verwaltungsdirektor Skofitz in Vertretung des
Bühnenvereins, die Oberregisseure Hopp und Tuschl, die Schauspieler Girardi,
Lunzer, Amson, Lebschmid, Franz Fischer, Bing, Schönau, Rauch, Kramer, Bauer,
Schmidl, Henri Beer, Darnau, Kirchner, die Schauspielerinnen Griebl, Kopfauf,
Noe, Ferri und Kathi Schulz.
Nach
Ludwig E. Gottsleben wurde
am 28. Mai 1930 in Wien 12, Untermeidling, Gartenstadt »Am Tivoli« die »Gottslebengasse«
benannt.
Kritik
an der Zeit formulierte Ludwig E. Gottsleben in seinen
typischen Couplets so:
»Es gibt nur eine
Wissenschaft,
Das ist die soziale;
Drum les' ich auch den ganzen Tag
John Stuart und Lasalle.
Das wenigste versteh' ich zwar,
Doch das wird wohl nix machen,
Die Hauptsach ist das Lesen nur
Bei alle diese Sachen;
A konfisziertes Büchel, das
Belebt mein ganzes Wesen,
Ich tät, wann's nur verboten wär,
A d' Genovefa lesen!«oder
»Im Schauspielhause sitzt ein Herr,
Man gibt den König Lear
Er klatscht in seiner Loge sehr,
Begeistert von Shakespeare.
Wie kömmt der Herr ins Trauerspiel,
Dem sonst der Zirkus nur gefiel?
Die Zeitung, die er täglich liest,
Wirft feurige Geschosse
Nach jedem, der die Kunst vergisst,
Nur schwärmend für die Rosse;
Allmählig fing den stolzen Mann
Der Vorwurf doch zu brennen an.
Er fühlt jetzt, was der Kunst gebührt
Trotz Hochmut und Noblesse,
Der Geist hat ihm zum Geist geführt,
Drum hoch die freie Presse!«
oder
»Heut' erfinden's a G'wehr, dös geht dreizehnmal los
Und morg'n drauf gleich wieder ein anderes G'schoss;
Die Gusstahlkanonen solln's Höchste jetzt sein,
Kein Franzos', schrei'n die Preussen, kommt mehr über'n Rhein!
Der Erfinder von Mordwaffen wird dekoriert,
Wie sich's für a solches Genie wohl gebührt.
So ist man zum Krieg jetzt allstundlich bereit
Und das heissen die Leut' a gemütliche Zeit.«
|
Nachlass
Ludwig
E. Gottslebens Nachlass wird in
der Wiener Stadt- und Landesbibliothek aufbewahrt.
Nachlass in der Handschriftensammlung:
ca. 170 Inventarnummern und 1 1/3 Kartons. Ca. 30 inventarisierte und zahlreiche
unbearbeitete Werkmanuskripte, vor allem Theaterstücke und Couplets. - Einzelne
Briefe. - Tagebuchnotizen (1863-1867), Bühnenverträge, autobiographische
Aufzeichnungen. - Zahlreiche Theaterstücke und Couplets anderer Autoren.
Maschinenschriftliches Verzeichnis, Zettelkatalog. - Teilweise unbearbeitet. -
Kauf 1916.
Teilnachlass in der Musiksammlung:
ca. 30 Inventarnummern: Couplets verschiedener Komponisten, teilweise zu Texten
von Ludwig Gottsleben.
Verzeichnung: Zettelkatalog. - Inventarisiert 1928.
Nachlass in der Druckschriftensammlung:
1 Konvolut Theaterzettel zu Auftritten von Gottsleben (1882-1902).
Werke
Werke von Ludwig Gottsleben:
Nachrufe in der Wiener Presse
Neue Freie Presse
1911, Nr. 16710
(27.02.), S. 8
|
Die Neue Zeitung
4 (1911), Nr. 58
(27.02.), S. 8
|
Wiener Sonn- und
Montagszeitung
49 (1911), Nr. 9
(27.02.), S. 6 |
Wiener Abendpost
1911, Nr. 47 (27.02.),
S. 4 |
Literatur
|
Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart.
Leipzig: Seemann, Bd. 14 (1921), S. 426. |
|
Czeike,
Felix: VIII. Josefstadt. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1980 (Wiener
Bezirkskulturführer, 8), S. 20 [irrtümlich als Geburtshaus bezeichnet]. |
|
Czeike, Felix: Historisches Lexikon Wien. Wien : Kremayr & Scheriau,
Bd. 2 (1993), S. 578. |
|
Eisenberg, Ludwig: Biographisches Lexikon der deutschen Bühne im 19.
Jahrhundert. Leipzig: List, 1903, S. 341. |
|
Flögel, Karl Friedrich: Geschichte des Grotesk-Komischen: ein
Beitrag zur Geschichte der Menschheit; nach der Ausg. von 1788 / neu bearb.
und hrsg. von Max Bauer. München : G. Müller, 1914, S. 367 [»Gottsleben
war der allerletzte Wiener Hanswurst, den er auch in der Wiener
Internationalen Ausstellung für Musik- und Theaterwesen im Jahre 1892 einen
ganzen Sommer hindurch verkörperte, assistiert von Kräuser, dessen virtuose
Nachahmung des tschechisch-wienerischen Dialektes bis jetzt unerreicht ist,
und des fidelen delli Zotti. Die asthmatische Sprechweise Gottslebens, die in
den Fettpolstern des schwammigen Antlitzes kaum sichtbaren Augen, der breite,
sinnliche Mund, das spitze Bäuchlein, das auf zu kurz geratenen Beinen ruhte,
machten ein Ensemble von unwiderstehlicher Komik aus. Gottsleben war keine
allererste Nummer als Künstler, aber ein Groteskkomiker von Natur, der der
Kunst entraten konnte, um komisch zu wirken.«] |
|
Giebisch,
Hans und Gustav Gugitz: Bio-Bibliographisches Literaturlexikon Österreichs von
den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien: Hollinek 1963. |
|
Handl, Willi: Gottsleben. In:
Die Schaubühne 7 (1911), S. 293-296. |
|
Das Josefstädter Heimatmuseum. Band 2. Wien:
Neuer Wiener Pressedienst 1959-1969, S. 235 u. 324. |
|
Das Wiener
Volkssängertum in alter und neuer Zeit: Nacherzähltes und Selbsterlebtes,
mit Biographien, Episoden, Liedern, zahlreichen Abbildungen und
Porträts nach zeitgenössischen Bildern aus dem Volkssängerleben.
Wien: Gerlach u.
Wiedling [1931], S. 27 ff. |
|
Kosch,
Wilhelm: Deutsches Theater-Lexikon. Klagenfurt: Kleinmayr, Bd. 1 (1953), S. 592. |
|
Lackner,
Ninni: Ludwig Gottsleben. In: Weltpresse, 21.11.1946. |
|
Österreichisches biographisches Lexikon, 1815-1950. Graz: Böhlau,
Bd. 2 (1959), S. 37. |
|
Manderthaner, Wolfgang u.
Lutz Musner: Die Anarchie der Vorstadt: das andere Wien um 1900. Frankfurt/M.
u.a.: Campus-Verl., 1999. |
| Markl, Hans: Kennst
du die berühmten letzten Ruhestätten auf den Wiener Friedhöfen? Band 1:
Zentralfriedhof und Krematorium (Urnenhain). Wien: Pechan 1961, S. 144. |
| Mayer, Wolfgang:
VII. Neubau. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1983 (Wiener
Bezirkskulturführer, 7) , S. 7. |
| Rotter, Hans: Die
Josefstadt. Geschichte des 8. Wiener Gemeindebezirkes. Wien:
Selbstverlag 1918, S. 474. |
| Rotter, Hans:
Neubau. Ein Heimatbuch des 7. Wiener Gemeindebezirkes. Wien: Deutscher
Verlag für Jugend und Volk 1925 , S. 167. |
|
Rubey, Norbert u. Peter Schoenwald: Venedig in Wien. Theater- und Vergnügungsstadt
der Jahrhundertwende. Wien: Ueberreuter, 1996, S. 31, 108, 118, 125, 139, 147.
[»Venedig
in Wien«: Das war die riesige Theater- und Vergnügungsstadt im Wiener Prater um
die Jahrhundertwende. Weltberühmte Operettenkomponisten - C. M. Ziehrer, Franz
Lehar, Josef Hellmesberger jun., Edmund Eysier, Oscar Strauss, Richard
Heuberger, Oskar Nedbal u. a. - hatten hier rauschende Erfolge. Große Namen des
Theaters wie Fritzi Massary, Mizzi Zwerenz, Annie Dirkens, Ludwig Gottsleben,
Richard Waldemar begeisterten das Publikum. Das Buch ruft ein fast vergessenes
Kapitel Wiener Stadt-, Theater- und Musikgeschichte in Erinnerung.] |
|
Tumfart, Barbara: Vom
»Feldmarschall« zum »Eroberer«. Über den Einfluß der österreichischen
Theaterzensur auf den Spieltext in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 30
(2005), S. 98-117. |
|
Walz, Elfriede: Ludwig Gottsleben, ein Wiener Schauspieler und Volksdichter.
Wien, 1947. (Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der Philosophischen
Fakultät der Universität Wien.) |
|
Das Wiener
Heimatbuch – Mariahilf. Hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft des Mariahilfer
Heimatmuseums. Wien: Austria Press 1963 , S. 233. |
|
Wladika,
Otto: Von Johann Fürst zu Josef Jarno. Die Geschichte des Wiener
Pratertheaters. Wien 1960. Diss. Univ. Wien. |
|
Wilhelm, Sigmund: Ludwig Gottsleben.
In: Wiener Wandelbilder. Wien, 1912, S. 59-64. |
Tondokumente
|
Wiener Schauspieler II [Aufnahmen mit Josef Altmann, Bernhard
Baumeister, Adolf von Sonnenthal, Hugo Thimig und Ludwig Gottsleben] :
Übertragungen von Phonogrammen aus den Jahren 1906 und 1907 / kommentiert von
Margret Dietrich. Wien : Verl. der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften, 1987. (= Tondokumente aus dem Phonogrammarchiv der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften) |
|
Großegger, Elisabeth: Schauspieler der Jahrhundertwende (Josef
Lewinsky, Max Devrient, Josef Altmann, Bernhard Baumeister, Adolf von
Sonnenthal, Hugo Thimig und Ludwig Gottsleben). In: Tondokumente aus dem
Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Gesamtausgabe der Historischen Bestände 1899–1950. Serie 2: Stimmportraits.
Wien: Österreichischen Akademie der Wissenschaften PHA CD 8, 1999, S. 194–218.
|
Tonaufnahmen von
Ludwig Gottsleben
Eigenes Couplet
»Es
ist zum Haarausreißen«,
aufgenommen am 18. März 1907 in Wien
»Es ist zum Haarausreißen, 's is'
zum Haarausreißen
Bleibt mei Lieblingssprüchl allemal.
Was die Mensch'n treiben, das ist nicht zum b'schreiben,
Nix als Ärger hat man, Gift und Gall'!
Möcht' oft hellauf flennen, mit'n Kopf anrennen,
In der Luft all's z'reißn quintelweis:
/:Es is' zum Haarausreißen, 's is' zum Haarausreißen,
Möcht' mir d' Haar ausreißen schippelweis:/
Es ist zum Haarausreißen, 's is'
zum Haarausreißen,
Was das Publikum tut jetzt begehr'n.
Singt man noch so schöne, reine Glockentöne,
Soll man alleweil' noch schöner plärr'n.
'Wart', wir wer'n di' zwinga, wirst glei noamol singa',
's verehrte Publikum tut Einem's nit z'Fleiß,
/:Es is' zum Haarausreißen, 's is' zum Haarausreißn,
Möcht' mir d' Haar ausreißen schippelweis:/
Es gibt arme Leut', es gibt
Bettelleut' und Leut', die gar kein Geld haben; zu dieser dritten
Sorte gehör' ich. He, he.
/:Es is' zum Haarausreißen, 's is' zum Haarausreißen,
Möcht' mir d' Haar ausreißen schippelweis:/«
Eigene Posse
»Wiener Schnipfer« (1870), »Entréelied des Schlankl«,
aufgenommen
am 18. März 1907 in Wien
»Das Fechtengeh'n is heutzutag' a
reine Quälerei,
Man hat mit'm ganzen Publikum nur Gift und Gall' dabei.
Ein jeder hat die Ausred', daß er selber betteln geht,
Und wirft einem's Geld hin, grad' als wenn er ein'm was schenken
tät'.
Ob die paar Kreuzer mein jetzt g'hörn, was liegt am End' scho' dran,
Ich hätt' auf Ehr' oft gute Lust und schenkt's ein'm Bettelmann.
Am Abend is' der Kassaschluß, zwa Sechserln oder drei,
/:Das Fechtengeh'n is' meiner Seel' a reine Quälerei:/
Zu einer Arbeit bin i' z'schwach,
das hab' i' schon erfahr'n,
Drum leb' i' von dem Bißl, was si' and're Leut' erspar'n.
Der Reichtum macht nicht glücklich, hab' i' g'hört von viele Leut',
Der Reichtum, der ein'm Ander'n g'hört, macht freilich mir ka
Freud'.
Es is' amal auf dera Welt so eingeteilt, i siech's,
Die reichen Leut', die hab'n a Geld, und d' armen Leut' hab'n nix.
Drum bring' i' auch mei Gfrett nit los, das Pech, die Keilerei.
/:Das Fechtengeh'n is' meiner Seel' a reine Quälerei:/
Manchen Tag kommt man rein nicht
auf die Regiespesen. Jetzt bin i' an ganzen Vormittag betteln gangen,
was hab' i' g'löst? Zwa Gulden! Da soll aner an ganzen halben Tag
betteln weg'n zwa Gulden! So viel verdient sich doch bald aner, der
den ganzen Tag arbeit'! S' letzte Mal gibt mir a Köchin gar a Rein
voll einbrennte Erdäpfel. Und nit amol aufg'wärmt sind' s g'wesn,
na, eiskalt. Dera hab i' aber's Reindl aufg'setzt, daß ihr die
einbrennten Erdäpfel über's G'sicht obag'ronnen sind. Die Leut'
erlaubeten sich gar schon alles in der Stadt:
Auf, auf, in d' Sommerfrisch'n fort im rasenden Carrière,
Mi' g'freut die ganze Residenz und d' Stadtleut' nimmermehr.« |
Anmerkungen
»Nach Beendigung seiner Schulzeit beschloss Gottsleben, sein
Zeichentalent, das er wie so viele Dichter neben der poetischen Begabung
besaß, zu verwerten. Er begann auf der Akademie für bildende Künste in
Wien Malerei zu studieren. Um sich Geld zum Studium zu verschaffen,
zeichnete er in seiner freien Zeit Illustrationen für Journale, zunächst
für Landsteiners ›Telegraph‹. Sein eifrigster Förderer war der
Hauptmitarbeiter dieses Blattes, O. F. Berg, zu dessen Texten er Bilder zu
liefern hatte und der ihn schließlich als seinen Schreiber anstellte.
Dennoch sah sich Gottsleben gezwungen, weiterhin Illustrationen zu
übernehmen. Er illustrierte Langers ›Hans-Jörgel‹ und Varris ›Teufel in
Wien‹, das Witzblatt ›Tritsch-Tratsch‹ und Saphirs ›Wochen-Krebs‹. Durch
den Umgang mit Volksstückautoren wie Langer und Berg lernte Gottsleben die
Anforderungen der Bühne und des Publikums an den Theaterdichter kennen. Er
nahm seine schriftstellerische Tätigkeit wieder auf und begann selbst
Volksstücke zu schreiben. Mit 19 Jahren gelang ihm das erste bühnenmäßig
geeignete Stück. Es gelangte ab 17. Juni 1856 unter dem Titel ›Ein
Musikant oder die ersten Gedanken‹ durch das ausgezeichnete Ensemble des
Theaters an der Wien an dessen Sommerarena in Fünfhaus erfolgreich zur
Aufführung und zählte in den folgenden Jahren zu den erfolgreichsten
Stücken des Repertoires dieses Theaters, wozu allerdings die flotte Musik
von Franz von Suppé wesentlich beitrug.« (Elfriede
Walz: Ludwig Gottsleben, ein Wiener Schauspieler und Volksdichter.
Wien, 1947.
S. 43 f.)
(…) Aber auch andere bunte,
herrliche und selig verwirrende Dinge gab es damals für mich im Prater zu
erleben! Da war das Trabrennen nächst der Rotunde, die Steeplechase in der
Freudenau, wohin der Onkel die Verwandten in seinem Hofwagen führte, und
eines Sommers hatten Zauberer mitten in dem Prater die ganze liebe alte
Stadt Wien - so schien es wenigstens dem Kinde - aus ihrer Versunkenheit
wieder in die Wirklichkeit zurückgestellt, insonderheit den Hohen Markt,
wie er noch zu Zeiten des Hanswurstes gewesen. Und in der Tat war auch
inmitten des Platzes die lustige, heitere Szene errichtet, auf der man
Stücke aus jener Zeit zum besten gab. »Es ist zum Haarausreißen!« war der
Refrain eines Couplets, und ein Schauspieler namens Gottsleben war
Hanswurst, der es sang. In einem der dämmerigen Hausflure jenes Platzes
aber spielte ein alter Straßensänger im Kostüm der Vergangenheit die Harfe
und trug mit einer gedämpften urwienerischen Stimme uralte Lieder vor, die
den Knaben erheiterten und merkwürdig ergriffen. Er, der im Elternhause
gleichsam genährt ward mit Erinnerungen an das Wien des Vaters und
Vorvaters, fühlte, so jung er war, die Urmelodie seiner Heimat, als hübe
das Blut seiner Väter an, in ihm selbst zu singen, als käme ihm Botschaft
aus einer Welt, in der er früher schon einmal gelebt haben mußte. Und so
etwas Ähnliches wird es wohl auch gewesen sein; denn bloße Erzählungen,
besonders von Dingen, die der Erzähler selbst nicht mehr erlebt hat,
vermögen wohl das Sinnliche der Vergangenheit allein nicht so lebendig zu
machen. Später hat man im Prater die Lagunenstadt Venedig mit Palästen,
Kanälen und Gondeln aufgebaut. Sie hat aber auf mich bei weitem nicht den
Eindruck gemacht wie der Hohe Markt in der Musik- und Theaterausstellung
von Anno 1892 (…)
Aus: Der
Praterinspektor Huber. Eine Kindheitserinnerung von Anton Wildgans
(*17.4.1881 Wien, † 3.5.1932 Mödling, Niederösterreich. Jurist, Dramatiker
und Lyriker).
»Hingegen
ist es mir nicht gelungen, die in den Zeitungsnachrichten über Ludwig
Gottslebens Begräbnis angeführte Henriette Gottsleben urkundlich
nachzuweisen.« (Walz, S. 157, Fußnote 52.)
Willi
Handls Nachruf auf Ludwig Gottsleben ist zugleich auch eine scharfe Abrechnung mit der »Zeit der
lautesten und selbstgefälligsten Wiener Gemütlichkeit, die im Grunde nie etwas
andres war, als Roheit voll Rührung über sich selbst«:
Willi Handl: Gottsleben. In:
Die Schaubühne 7 (1911), S. 293-296.
ie
Theaterschriftsteller-Petition von 1874 trug eine »Vielzahl an Unterschriften
von bedeutenden Schriftstellern, von denen hier einige exemplarisch genannte
seien: Eduard von Bauernfeld, Heinrich Laube, Ada Christen, Julius Findeisen,
Alois Berla, Adolf Wilbrandt, O. F. Berg, Carl Elmar, Carl Costa, Anton
Bittner, Theodor Flamm, Friedrich Kaiser, Carl Haffner, Eduard Mautner,
Theodor Scheibe, Anton Langer, Carl Gründorf, Julius Hopp, Carl Juin und
Ludwig Gottsleben«. (Tumfart, S. 104 f.)
Elfriede Walz' Dissertation über Ludwig Gottsleben.
Einleitung: Die Entwicklung der volkstümlichen
dramatischen Gattung: Ihr Ursprung; das geistlich bürgerliche Spiel; das
weltlich bürgerliche Spiel und die höfische Neidhartkomödie; die
Schulkomödie und das Barockspiel.
Das Volksstück in Wien: Die
Entstehung der Hanswurstkomödie und ihre Vertreter; der Wiener
Hanswurststreit bedingt den Übergang zur studierten Komödie; ihre
Weiterentwicklung erfolgt unter dem Einfluss der Bühnensituation.
Die
Stellung der Wiener Theater zum Volksstück: Die Gründung der
Vorstadttheater und der damit verbundene Aufschwung des Volksstückes, die
Ausbildung seiner verschiedenen Arten; das burleske Grundschema; die
Änderung des österreichischen Staates im Jahre 1848; ihre Auswirkungen auf
das Wiener Theaterwesen, das Aufkommen der Operette und die Abwendung der
Vorstadttheater vom Volksstück; der Kampf des Volksstückes gegen die
Zensur; das Versiegen der Produktion.
Das Wiener Volkssängertum: Sein Ursprung; die ersten Vertreter;
Wechselbeziehungen zum Theater; der Verfall durch die Loslösung vom
Theater; die Reformen Mosers und der dadurch bedingte neue Aufschwung;
Übergang vom Einzelvortrag zum Singspielhallenbetrieb unter französischem
Einfluss; die Verdrängung des Wiener Volksgesanges durch die Pariser
Montmartrekunst an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert.
Ludwig Gottsleben.
I. Lebensschicksal:
a) Die Jugendzeit: Abkunft; die Kindheit im Elternhaus, erste
dichterische Versuche; die Studienjahre an der Akademie für bildende
Künste, erste materielle Sorgen, Tätigkeit als Kopist und Illustrator, der
Freundeskreis; der erste Erfolg auf dichterischem gebiet; die Entdeckung
der schauspielerischen Begabung, die ersten Engagements am Theater an der
Wien und am Carltheater, der stereotype Charakter der ersten Rollen; der
Entschluss zur Wanderschaft, erste Liebe; vier schauspielerische Lehrjahre
in der Provinz.
b) Im Zenith des Lebens: Verpflichtung an das Theater in der
Josefstadt und Rückkehr nach Wien; Wiederaufnahme der dichterischen
Tätigkeit; das Ende der Verpflichtung an das Theater in der Josefstadt und
die folgenden Engagements an Fürsts Praterbühne; Familiengründung.
c) Der Niedergang: Tod der Frau; Tod Fürsts, stärkere Auswirkung
der Verdrängung des Volksstückes von den Wiener Bühnen nach 1882, rascher
Engagementwechsel, häufige Provinzgastspiele; Nachlassen der dichterischen
Kraft; die internationale Ausstellung für Musik- und Theaterwesen, Wien,
1892; Provinzgastspiele und vereinzelte Wiener Engagements in den Jahren
1892 bis 1908; Krankheit und Operation; die Reise nach London Mitte 1906;
Rückkehr nach Wien, Ende der schauspielerischen Tätigkeit durch Alter und
neuerliche Krankheit; das 50 jährige Schauspielerjubiläum im Jahre 1910,
die Bürgerrechtsverleihung; der Tod; äußerliche Erscheinung und Charakter
Gottslebens.
II. Gottsleben als Schauspieler und Volkssänger:
a) Allgemeine Charakteristik seiner Darstellungsweise: Die Art der
Begabung; die Sprechweise; die Gesten.
b) Engagements und Rollen: Sein erstes Auftreten; Entwicklung zur
schaupielerischen Reife, die stereotype Form seines Spiels (Wiener
Volksfiguren); die Einschränkung seines Betätigungsfeldes durch den
Niedergang des Volksstückes (der Übergang zur Darstellung kleiner
Operettenrollen); sein letzter größerer Erfolg auf der Hanswurstbühne der
internationalen Ausstellung für Musik und Theaterwesen, die Reisen mit der
Hanswurstkomödie; das Ende seiner schauspielerischen Laufbahn; gemeinsames
Auftreten mit berühmten Kollegen; die Beraufsauffassung Gottslebens; seine
Ratschläge für die Theatereleven; seine Nachahmer.
c) Wirkung und Erfolg beim Publikum: Große Beliebtheit beim
erbeingesessenen Wiener Vorstadtpublikum; mangelndes Verständnis der neu
zugewanderten Bevölkerungskreise für seine volkstümliche Darstellungsweise
und harmlose Komik; anhaltender erfolg in der Provinz; die Feiern
anlässlich seines 40 und 50jährigen Schauspielerjubiläums als Ausdruck der
Dankbarkeit des Publikums für die vielen Stunden fröhlicher Unterhaltung
durch sein Spiel.
III. Gottsleben als Dichter und Schriftsteller:
a) Die Entfaltung der dichterischen Begabung: Die ersten
dichterischen Versuche; zunehmende reife und Erfahrung durch den Verkehr
mit Volksstückautoren; die Entdeckung der seiner Begabung gemäßen
dichterischen Form.
b) Die bühnenreifen Werke: Allgemeine Charakteristik (Gattung,
künstlerische Aufgabe, Handlungsschema, Aufbau, Komik, Personen, Sprache
und Vers, Rolle der Musik); der Einfluss fremder Autoren; der Einfluss der
eigenen schauspielerischen Tätigkeit.
Nähere Behandlung der einzelnen Werke:
1) Stücke mit burleskem Grundschema: Ein Musikant; Der Michel aus
dem Höllental; Herr Göd und Jungfer Godl; Nur solid!; Wiener Schnipfer;
der narrische Toul.
2) Stücke, deren Aufgabe die Charakteristik besonderer Typen ist:
Auf der Bühne und hinter den Kulissen; Wiener Nachtfalter; Napoleon, der
Alte; Bratelmusikanten; Kaufmannsfrau und Schusterbub; Diese Damen.
3) Für das Fürsttheater bestimmte Stücke: Der Herrgottsschnitzer
von Berchtesgaden; Der Himmel voller geigen; Die Wiener im Serail; Die
Kunst geht nach Brot; Die lustigen Wiener; Der alte Komödiant; Die
Wäschermädel; Die Deutschmeister im Brucker Lager; Das Christkindl.
4) Gelegenheitsstücke: In Pest; Linzer Firmlinge; Der
Stiefelputzer; Vier komische Szenen für die Ausstellung von 1892;
Hanswurst, der traurige Küchelbäcker und sein Freund in der Not; Maroni
arrostiti e spezza camino.
5) Nestroy gewidmete Stücke: G'achnag; Gabriel Brunner.
c) Quodlibet: Die Überlieferung (Bühnendrucke, Handschriften); Die
feuilletonistischen Werke; Entstehung; die Nestroyausgaben; Meine
Wenigkeit; 50 Jahre Komiker.
Schluss: Die Bedeutung Gottslebens; das Weiterleben der Wiener
Volkskunst. |
Stand:
Januar 2019
Klaus Gottsleben
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