Johann Bernhard
Gottsleb(en)
um 1595-1635
Evangelischer Geistlicher
Ein Leben in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges
Herborn,
Siegen, Frohnhausen und Dillenburg
Christliche Klag : vnd Trostpredigt
Bey begräbnus
Weyland des Ehrwür-
digen vnd Wolgelehrten / Ehrn Johan-
nis Berhardi Gotslebii Herbornensis, ge-
wesenen Pastors zu Dillenburg
1636
Jugend in Herborn,
Siegen, Dillenburg und Krombach
Johann Bernhard Gottsleben wurde als zweites Kind des
Pädagogearchen und Professors
Johannes Gottsleben und der Anna Maria Hoen um
1595 in Herborn geboren. Mit seinen vier Geschwistern Matthias, Andreas Jacobus, Jodocus Wilhelm und Margarete wuchs er in Herborn, der Heimatstadt seiner
Mutter, dann in Siegen, in der Residenzstadt
Dillenburg und in Krombach bei
Siegen auf. In Herborn und Siegen lehrte Johann Bernhards Vater von 1587
bis zum Wintersemester 1599/1600 an dem von Graf Johann VI. von
Nassau-Dillenburg (1535-1606) gegründeten Pädagogium und der Hohen Schule. Nach seiner
Lehrtätigkeit wurde der Vater in Dillenburg zum Hofprediger und geistlichen
Inspektor der Dillenburger Kirchenklasse bestellt und wirkte danach als Pfarrer
in Krombach. Johann Bernhards Mutter entstammte der angesehenen
Beamtenfamilie Hoen, aus der mehrere ebenso gelehrte wie getreue Staatsdiener
entsprossen und die sich seit der Reformationszeit über zwei Jahrhunderte in der
Nassau erhalten hatte.
Nach Besuch der Herborner »schola
civica« wechselte Johann Bernhard Gottsleben 1607 auf das nach dem
Tod Graf Johann VI. wieder von Herborn nach Siegen verlegte Pädagogium. Zwei Jahre nach dem Tod des
Vaters legte Johann Bernhard Gottsleben im Frühjahr 1614 unter
Aufsicht des Pädagogearchen Heinrich Gutberleth (1572-1635) beim Präzeptor der ersten Klasse,
Christian Baum (1580-1626), die Reifeprüfung ab. Am 11. Mai 1614 begann er ein Theologiestudium
an der Hohen Schule in Herborn.
Aus seiner Klasse studierten Johannes Molitor, Jacobus Schmollius, Johannes
Wichelshausen, Johannes Langenhorst, Godfridus a Stolzenberg, Andreas Textor,
Henricus Lanius und Johannes Polichius ebenfalls in Herborn.
Johann Bernhard Gottsleben besaß einen recht regen
Geist. Seine Leistungen am Pädagogium und während des Theologiestudiums waren
sehr vielversprechend für eine spätere Anstellung im gräflich-nassauischen
Schul- und Kirchendienst.
Der Unterricht an der Hohen
Schule Johannea war sehr praxisorientiert und hatte die Anwendung des
Lehrstoffes in der täglichen Praxis der künftigen Lehrer, Pfarrer oder Juristen
als Ziel. Oratorik, Rhetorik, »Eloquenz« und praktische Übungen (»exercitia«)
hatten einen hohen Stellenwert innerhalb der Ausbildung. So waren an der Hohen
Schule Disputationen fest in den Stundenplan eingebaut, für die
Theologiestudenten kamen in kürzerer Zeit auch noch Predigtübungen hinzu. Der
Kampf der Konfessionen erforderte rhetorisch bestens geschulte Abgänger der
Hohen Schule, die sowohl in Kirche wie Schule die Untertanen in verständlicher
und überzeugender Weise belehren konnten, zugleich aber auch in der Lage sein
mussten, die eigene dogmatische Position, sei es im Gespräch oder in
schriftlicher Form, gegen den Anhänger einer anderen Konfession zu vertreten.
Hohe Schule Herborn
Als weiteres Ziel des
Unterrichts galt die Ausbildung der Urteilsfähigkeit des Studenten (»judicium«).
Gegenüber der Ausbildung des »judicium« trat die Memorierfähigkeit, die dem
Studenten im traditionellen Schulsystem beigebracht wurde, zurück und wurde nur
insoweit entwickelt, wie sie zur Förderung des »judicium« dienlich schien. Die
hohe Bewertung des »judicium« verlangte vom Studenten die Entwicklung des
eigenen Denkvermögens und gewährte ihm ein für die Zeit weit entwickeltes Maß an
freier Entfaltungsmöglichkeit. Diese bewegte sich allerdings in festgelegten
Grenzen. So waren die Studenten in Disputationen - und besonders bei denjenigen,
die später in Druck gingen - an die theologisch-dogmatischen wie
wissenschaftstheoretischen Vorgaben des
Ramismus
gebunden, die in den Schulgesetzen festgelegt waren und deren Einhaltung der
Senat streng überwachte. Den Studenten wurde »im letzten Viertel« einer
Unterrichtsstunde Gelegenheit gegeben, durch Fragen nach dem Lehrstoff das
Verständnis des Dargebotenen zu erhellen und zu vertiefen. Die offene Art der
Lehre drückte sich auch in einem durchaus nahen persönlichen Verhältnis zwischen
Dozent und Student aus.
Obwohl das monokratisch
regierte, frühabsolutistische kalvinistische Nassau-Dillenburg - wie auch alle
anderen reformierten Territorialstaaten - der Kirchendisziplin ein besonderes
Augenmerk schenkte und auch in anderen Lebensbereichen die
»Sozialdisziplinierung« seiner Untertanen weit fortentwickelte, war an der Hohen
Schule die freie Entfaltung des einzelnen Studenten eines der wesentlichen
Prinzipien der pädagogischen Praxis. Weiter weisend war neben der Entfaltung der
Urteilsfähigkeit vor allem die Betonung der Didaktik, wie sie im
Erziehungskonzept des ehemaligen Studenten der Hohen Schule,
Johann Amos Comenius
(1592-1670), als zentrale Kategorie wieder aufgegriffen wurde. An der Hohen
Schule begannen die Professoren Matthias Martinius
(1572-1630) und Johann Heinrich Alsted
(1588-1638) das Wissen der Zeit, in geordneter und für den Unterricht wohl
aufbereiteten Form, vorzulegen. So entstanden die Entwürfe einer ersten deutschen
Enzyklopädie, deren sieben Bänden Johann Heinrich Alsted 1630 in Herborn drucken
ließ.
Trotz der geringen
personellen Ausstattung mit lediglich drei theologischen, zwei juristischen und
drei Lehrstühlen für Philosophie und Medizin war Herborn eines der
herausgehobenen Zentren des Kalvinismus. Ihren frühen guten Ruf verdankte die
Hohe Schule in erster Linie Caspar Olevian
(1536-1587), der die reformatorische Zentralfrage nach Erlangung des Heils mit
dem Bundesschluss zwischen Gott und dem erwählten Menschen erklärte, um so - in
Versöhnung durch den Bund - die Heilsgewissheit zu erlangen. Auch
Johannes Piscator
(1546-1625) vertritt die Föderaltheolgie, macht sie aber nicht zum zentralen
Moment seiner Heilslehre. Durch die »Juridifizierung« der Heilslehre wies die
Föderaltheologie entschieden über die Lutherische Dogmatik hinaus. Die bei den
einzelnen Föderaltheologen benutzte Begrifflichkeit scheint mehr aus dem
Repertoire des Juristen denn dem des Theologen entnommen zu sein. Und es ist
deshalb nicht verwunderlich, dass weite Teile der staatstheoretischen
Grundfiguren in Kalvinismus und Puritanismus - samt des hierbei benutzten
begrifflichen Apparates - aus der Föderaltheologie herausgewachsen sind. Ein
weiterer Schwerpunkt der Herborner Theologie liegt in der
Kirchenrechtswissenschaft, die in ihrer reformierten Ausprägung an der Johannea
überhaupt erst begründet wurde. Die praktische Ausbildung der Theologiestudenten
umfasste im besonderen Maße Predigtübungen, für die
Bernhard Textor
(1560-1602) in seinen 1599 gedruckten »Pandectae sacrarum concionum« die
wichtigen Merkmale und Inhalte zusammenstellte.
Die Johann Bernhard
Gottsleben prägenden Lehrer waren in der Theologie
Johannes Piscator und
Johannes Jacob Hermannus
(1553-1630), bei denen er 1614 und 1620 disputierte,
in der Philosophie der junge Johann Heinrich Alsted, der zur geistigen Formung
des von 1611 bis 1613 in Herborn weilenden Johann Amos Comenius entscheidend
beigetragen hatte. Die zum Andenken an seinen verehrten Lehrer
Johannes Piscator
1625 gedruckte Leichenpredigt
bereicherte Johann Bernhard Gottsleben mit einem lateinischen
Trostgedicht.
Rektor
(Oberschulmeister) der Lateinschule in Dillenburg (1619-1626)
Dank seiner guten
Leistungen an der Hohen Schule wurde der 24 Jahre alte Johann Bernhard
Gottsleben nach seinem Studium gleich zum Oberschulmeister in die
Residenzstadt Dillenburg berufen. Dort trat er 1619 an der Lateinschule die
Nachfolge von Philipp Textor, ein Sohn des Herborner Theologieprofessors
Bernhard Textor, an. Dritter Schulmeister war Christoph Meyer aus Straßburg im
Elsass.
Den Grundstein für die
Dillenburger Lateinschule hatte bereits Graf Johann V.
(1455-1516) am Weihnachtsabend des Jahres 1501 gelegt. Zur Ausbildung einiger
begabter Knaben, die bei den verschiedenen gottesdienstlichen Obliegenheiten,
insbesondere beim Messesingen gebraucht wurden, gründete er eine
Stipendienstiftung. Um dem Gottesdienst eine bessere Ordnung zu geben, änderte
Johanns Sohn, Graf Wilhelm
(1487-1559), die Stiftung und bestimmte 1523 den geeignetsten der sieben
Priester an der Stadtkirche zum Schulmeister. Von diesem ließ er »6 fromme
dienliche arme Knaben«, die auf gräfliche Kosten im Schlosse beköstigt wurden,
in der Schule ausbilden. In den Jahren 1535 bis 1538 formte Johann Bernhard
Gottslebens Urgroßvater, der hoch angesehene Magister
Jost Hoen
(um 1500-1569) die lateinische Schule im Sinne der lutherischen Reformation um.
Jost Hoen rückte alsbald zum Leiter der Hofschule und Erzieher des inzwischen
ins 6. Lebensjahr gekommenen, späteren Prinzen Wilhelm von Oranien
(1533-1584) auf, doch bestimmte seine Bestallung ausdrücklich, dass er nebenbei
»auch ein mit insehens uff die schull zu Dillenburg haben« soll. Die Schulräume
befanden sich seit etwa der Mitte des 16. Jahrhunderts auf dem Speicher der
Stadtkirche. Die Besoldung für den ersten Schulmeister betrug 50, für den
zweiten 32 Gulden jährlich. Die Lehrerschaft wechselte oft, da die meisten
Präzeptoren ihren theologischen Studien entsprechend das Schulamt als den
Übergang in eine besser besoldete Pfarrstelle ansahen.
Nach dem Tod Wilhelms fiel
die Regentschaft 1559 an seinen zweiten Sohn, Graf Johann VI. Wie kaum ein
anderer Landesfürst seiner Zeit war er um eine religiöse und sittliche Formung
und Hebung der Bildung seiner Untertanen bemüht. Seine engen Beziehungen zu den
Niederlanden, in die ihn der wechselvolle Befreiungskampf seines Bruders, des
Prinzen von Oranien, geführt hatten und auch zur Pfalz, der Hochburg des
Kalvinismus, aus der er sich seine zweite Gemahlin holte, brachten ihm das
reformierte Bekenntnis näher. Mit Ablösung der lutherischen durch die
reformierte Lehre, die in den Jahren 1576 bis 1581 erfolgte und anfangs
wesentlich durch religiöse Flüchtlinge aus Kursachsen und der Pfalz verbreitet
wurde, wollte Graf Johann VI. eine freiere Entwicklung des kirchlichen Lebens
und seiner Formen in Nassau-Dillenburg erreichen.
Auch das Schulwesen erfuhr
eine durchgreifende Umgestaltung im reformierten Sinne. Um die Dillenburger
Lateinschule haben sich in dieser Zeit vor allem der Superintendent der
Grafschaft, der aufgeklärte und gelehrte Marburger Geistliche Gerhard
Eobanus
Geldenhauer
(1536-1614), genannt Noviomagus, und der Junker Otto von Grünrade
(1545-1613), der aus konfessionellen Gründen Sachsen verlassen hatte und als
Hofmeister der Söhne Graf Johanns zugleich dessen Berater in Schulfragen
geworden war, verdient gemacht. In einer von Geldenhauer 1581 vorgelegten
Denkschrift »Anstellung und Verbesserung dero Schuhl zu Dillenburgk, Bedenken
wie zu Dillenburg eine ahnsehnliche guthe Schul zu bestellen« wird detailliert
dargelegt, wie der Unterricht in Griechisch, Latein und Französisch zu gestalten
ist und die Schüler zu führen sind.
Nachdem Geldenhauer und
Grünrade aus den gräflichen Diensten ausgeschieden waren, mangelte es an einer
straffen Aufsicht über die Schule. Graf Johann musste die Schulaufsicht immer
wieder selbst in die Hand nehmen, um den guten Namen und Ruhm, den die Schule
innerhalb und außerhalb der Grafschaft genossen, durch die sich in den
Schulbetrieb einschleichenden Nachlässigkeiten nicht in Gefahr zu bringen.
Mitte der 1580er Jahre - es
war die Zeit, in der den Grafen die politischen Wirren in den Niederlanden nach
dem Meuchelmord an seinem Bruder ganz in Anspruch nahmen - ermahnte Graf Johann
seine Räte und den geistlichen Inspektor Wilhelm Zepper
(1550-1607) in eindringlicher Form zu einer strafferen Aufsicht, um die
eingerissenen Übelstände einzustellen. In schärfsten Worten äußerte er sein
Missfallen über die Leistungen und moralischen Zustände der Anstalt: Die Zucht
unter den Knaben sei gänzlich vernachlässigt, die Lehrer gäben auf dieselben zu
wenig acht, sie hielten sie zu keiner Sauberkeit und Reinlichkeit des Leibes und
der Kleidung an; schmutzig, zerlumpt, zerrissen, nackend und bloß, dass man sich
ihrer schämen müsse, liefen sie auf den Gassen herum, wo man sie spielen, rufen,
schreien und allen Mutwillen treiben lasse. Ihr Mangel an Zucht und
Schamhaftigkeit gehe soweit, dass sie »öffentlich ihre notturft thun vndt ihrn
Urinam unacht ihrer schelte gegen die leuth endtblößt ohne schew reddiren
dörffen«. Ihre »Pronunciation« im Singen wie im Reden und ihre Handschrift, die
doch »hiebevor bei dieser Schule bräuchlich gewesen«, sei gleich nachlässig, zur
Gottesfurcht würden sie nicht mehr angehalten. Die Methoden des Unterrichts sehe
wenig darauf, »wie man ihnen die Sachen in das Hirn, Herz und Hände bringe, dass
sie zum Verstand, Lust, Lieb und guten Willen, wie auch zur Übung und praxi
derselben kommen mögen, sondern man siehet nur allein dahin, wie man der Jugend
die Sachen in die Ohren, den Mund und das Gedächtnis gleich den Atzeln, Dohlen,
Raben und anderen unvernünftigen Tieren, so man schwätzen und pfeifen lernet,
bringe. Wie sie ihre Zeit nutzlich und wohl anwende und mit Vorteil in ihrem
Studium fortkäme, darauf sei man zu wenig bedacht«. Die Lehrer gäben ihnen keine
rechte Anleitung, wie sie die Predigten in der Kirche aufzuschreiben hätten,
noch weniger repetierten sie dieselben mit ihnen oder präparierten sie vorher
auf dieselben. In der Kirche werde oftmals »sehr unfleißig und übel gesungen«.
Es werde ferner darüber geklagt, dass »der praeceptoren etzliche bißweilen ganz
hartt, ungetüm und unbescheiden gegen die Knaben seien und damit Ursach geben
hätten, daß einige ihr Studium aufgegeben oder auch wohl ins pabsthumb gelaufen
seien«. Nicht bloß die Schüler, sondern auch die Lehrer hielten nicht pünktlich
ihre Stunden, wie das vorher stets bräuchlich gewesen, sondern kämen oftmals »wo
nit mehrentheils zu oder nach halber verlaufener Stund in die Schule und hätten
auch in den Stunden beiderseits ein groß aus- und einlauffens«. Außer dem
gewöhnlichen Mittwoch hielten die Jungen zwei oder mehr Spieltage in der Woche,
so dass sie es an »gebührlichem Fleiß und Continuirung ihrer Studien zur Klage
auch der Eltern sehr fehlen ließen«. Im übrigen hätten sich die Schulmeister
»des Zechens und Panckatirens nun eine Zeit her dermaßen beflissen, als ob sie
daraus ein Handwerk machen woltten, während sie hinterher über Mangel an
Besoldung klagten«. Das Schlimmste aber sei, dass sie bei Gelagen, bei denen sie
ältere Schüler zum Weintragen, Aufwarten und Musizieren heranzögen, mit
Herborner Studenten, Kanzleiverwandten und dem Hofgesinde in Verbindung träten
und letztere »an ihrer Vokation und Verrichtung verhinderten«.
Die gräflichen Klagen mündeten in eine neue Schulordnung,
in der die allgemeinen Unterrichts- und Erziehungsgrundsätze neu formuliert
wurden. Der Grammatikunterricht sollte nicht mit einer zu großen Menge von
Regeln beschwert, das Gedächtnis nur mit dem Notwendigsten belastet, das Urteil
geübt und geschärft, der Verstand gebildet, überhaupt die Lehrmethode dem
Auffassungsvermögen und dem allmählichen Fortschritt der Schüler (»ad puerorum ingenia, profectus et captum«)
verständnisvoll angepasst werden. Bei allen schriftlichen Arbeiten sei auf die
Pflege der Handschrift der allergrößte Wert zu legen. In den Vorschriften über
das Verhalten der Schüler in der Schule und Öffentlichkeit, über Körperpflege
und Reinlichkeit, die in ihren Einzelheiten bis zum Mundausspülen (»ora quoque
eluant pueri«) gehen, merkt man ebenso deutlich die Nachwirkung der
geharnischten Denkschrift des Grafen wie in der Vorschrift über die Anwendung
der Zuchtmittel, die frei von Härte und Prügelei (»sine rigore aut plagositate«)
in väterlicher Weise gehandhabt werden sollten.
Im Frühjahr 1618 bricht der Dreißigjährige Krieg aus. Das
durch die Kriegsfolgen zunehmend zerrüttete Zusammenleben der Menschen wie auch
die von den Landsknechten eingeschleppten Seuchen stellten den Fortbestand der
Lateinsschule immer wieder in Frage. Die Bande der Ordnung lockerten sich nicht
nur unter den Schülern, sondern zusehends auch unter den Erwachsenen. An ihre
amtlichen Pflichten hielten sich selbst Amtsträger nicht mehr gebunden.
Unverkennbar spiegeln sich diese Verhältnisse auch in den Schulakten wider.
Bitter beklagt sich einige Jahre nach Kriegsbeginn unser Oberschulmeister Johann Bernhard Gottsleben, dass er »von den
meisten Eltern (›paucos excipio‹) nicht allein den sauer verdienten lohn
entweder garnicht oder nicht anders alß mit großer mühe bekommen« könne, sondern
auch von vielen Eltern dazu noch »schändlich geschmähet und behönet werde;
etliche hätten ihre kinder zu der zeitt, wo er das Schulgeldt ahngefangen habe
zu fordern, daheimb und auß der Schulen gelaßen, aber nach vierzehn Tagen oder
drei Wochen wieder hineingeschickt, bis daß abermals ein Quartal verflossen; so
machten sie es alle Vierteljahr«. Unterdessen hätten die Schüler »alles
vergessen, was sie zuvor gelernett hätten, darnach schänden und schmähen die
leuthe, es hätten ihre Kinder nichts in der Schulen gelernett«. Ganz besonders
ungehörig habe sich der jetzige Bürgermeister Theis Göst benommen, den er in
einem »freundlichen Brieflein« an das für drei Ziele rückständige Schulgeld für
seinen Sohn erinnert habe; diesen, »ein in allen bubenstücken, deren ihm keins
zu groß, sonderlich aber in Garttendiebereyen halßstarrigt und verwehnter«
Geselle, halte er nun schon eine geraume Zeit aus der Schule, ihm aber habe er
die dem Schreiben beigefügte spöttische Antwort gegeben. Trotz des
ausdrücklichen Verbots schickten andere, die ihm gleichfalls das Schulgeld
schuldeten, ihre Kinder jetzt nach Oberschelt zur Schule; lasse er durch einen
anderen Schüler bei den Eltern nach dem Grund des Fernbleibens fragen, so werde
dieser »mit Streichen abgewiesen und mit Steinen beworfen«; andere pflegten den
Lehrer mit »schandbaren Worten über die Naße zu hauen, Summa«, so fasst
Johann Bernhard Gottsleben seine Klage an den seit 1623 regierenden
Graf
Ludwig Heinrich
(1594-1662) zusammen, »es kompt dahin, daß baldt ein jeder hier zu Dillenbergk
ahn den Schulmeistern gedenket Ritter zu werden«. Er schließt mit der Bitte,
»solchem Unweßen bey der Schulen alhier zu steuern, insonderheit aber den Theis
Göst anzuhalten, daß er ihn vorthin nicht mehr mit einer solchen höhn- und
spöttischen Scharteken bezahle, sondern seinen außenstehenden liedlohn
unverzüglich zu entrichten schuldig seye«.
Heirat mit
Magdalena Beigarten (1621), Kinder, Verwandtschaft
Zwei Jahre nach Übernahme
der Dillenburger Rektorenstelle verlobte Johann Bernhard Gottsleben sich mit der Tochter des Henrich (von)
Bey(i)garten
aus Brüssel und am 27. November 1621 wird in Dillenburg Hochzeit gehalten. Der
Schwiegervater diente als Kammerdiener Graf Georg dem Älteren von
Nassau-Beilstein
(1562-1623), der für seinen in Friesland als Statthalter amtierenden Bruder
Graf
Wilhelm Ludwig von Nassau-Dillenburg
(1560-1620) die Regierungsgeschäfte der Grafschaft führte und in Dillenburg Hof
hielt. Mit seinem 1591 geborenen Schwager Philipp Bey(i)garten
(gest. 1637), der 1621 die Nachfolge seines Vaters bei Graf Georg antrat und
1624 unter Georgs Sohn Ludwig Heinrich zum Dillenburger Burggrafen aufstieg,
hatte Johann Bernhard Gottsleben das Herborner Pädagogium besucht.
Johann Bernhard Gottslebens Vetter Philipp Heinrich Hoen
(1576-1649) ist der führende Rat und Staatsmann Nassau-Dillenburgs, weit bekannt
und hoch geehrt, am Grafenhof in Dillenburg so gut wie am Kaiserhof in Wien.
Als bedeutender Jurist und Professor hatte Hoen durch viel verbreitete Werke bereits von
der Herborner Hohen Schule aus in Tradition und Nachfolge des berühmten
Johannes Althusius
(1557-1638) gewirkt. Wir kennen noch einen weiteren Schwager, den wohlhabenden
Bäcker und späteren Herborner Bürgermeister Jost Rücker, mit dem Johann
Bernhards Schwester Margarete 1627 den Bund der Ehe einging.
Pfarrer in Frohnhausen
(1626-1627)
Hofprediger und zweiter
Stadtpfarrer in Dillenburg (1627-1634),
dann erster Pfarrer
(1634-1635)
Nach sieben Jahren
Schuldienst wurde Johann Bernhard Gottsleben 1626 nach Frohnhausen auf die durch den Pesttod
des dortigen Pfarrers, Johannes Wissenbach, freie Pfarrstelle versetzt, aber
schon ein Jahr später als zweiter Stadtpfarrer und Hofprediger zum fast
gleichaltrigen Landesherrn Graf Ludwig Heinrich
nach Dillenburg zurückberufen. Mit dem Amt betreute er auch das seit der Reformation
zur Dillenburger Kirchengemeinde gehörende
Dorf Donsbach, das schon im 13. Jahrhundert eine eigene Kapelle hatte. Wiederum sieben Jahre blieb Johann Bernhard Gottsleben zweiter Pfarrer
und am Hof beliebter Prediger, wo er die Morgen- und Abendandachten im Schloss
abhielt. Nach Weggang des ersten Pfarrers Matthias Gärtner, alias Kluck,
erhielt Johann Bernhard Gottsleben die erste Pfarrstelle. Sein Nachfolger
auf der zweiten Pfarrstelle wurde 1634 Konrad Post
(1613-1669) aus Herborn. Mit Konrad Post legte Johann Bernhard Gottsleben
das zweite Taufbuch der Dillenburger Kirchengemeinde an, das mit dem Eintrag
beginnt: »Tauff-Buch, das ist Verzeichnuß derer Kinder, welche von diesen
Dillenburgischen Pfarr- und Kirchspiels Angehörigen auch sonsten bisweilen von
anders zufälliger Weise zu taufen sind begehret worden. Angefangen im Jahre 1634
in dem Monat Augusto, von mir Johanne Bernhardo Gotslebio, nachdem ich beneben
Ehrn Conrado Posthio den 10. Augusti obgedachten Jahres alhier zum Pastorat und
Diaconat sind ordiniert und präsentiert worden.«
Dillenburger Stadtkirche
Johann Bernhard
und Magdalena Gottsleben
hatten acht Kinder, von denen bis 1634 bereits fünf in den harten Kriegsjahren
gestorben waren. Namentlich kennen wir
Johann Philipp, geboren am 19. September 1622, Margarete, getauft am 15.
Dezember 1627, Maria Magdalena, geboren am 17. April 1629, und Anna Margreth,
getauft am 3. Dezember 1634.
Pesttod der Familie Johann Bernhard und
Magdalena Gottsleben (1635)
Nach Ausbruch des Großen
Krieges stand der junge, seit 1623 regierende Landesherr
Graf Ludwig Heinrich,
obwohl er lange Zeit neutral blieb, vor keiner leichten Aufgabe. Durch den
Übertritt seiner nächsten Verwandten, der Grafen von Nassau-Siegen und
Nassau-Hadamar, zum katholischen Glauben, war der konfessionelle Hader in die
eigene Familie getragen und ihm der Schutz seines Landes ungeheuer erschwert.
Galt es zunächst, die fremden Kriegsvölker nach Möglichkeit von den
Landesgrenzen fernzuhalten oder doch die Leiden der Bevölkerung nach Kräften zu
lindern, so trat Graf Ludwig Heinrich 1631 aus seiner Neutralität heraus,
schloss sich mit seinen nassau-dillenburgischen Regimentern anfangs der
protestantischen Seite unter dem Schwedenkönig Gustav Adolf, später den
Kaiserlichen an und hatte auf seinen Kriegszügen durch ganz Deutschland seinen
Gegnern manche blutige Schlappe beigebracht.
Während der Kriegsjahre
wurde das Dillenburger Land immer wieder schwer durch Seuchen, die die
Heereszüge begleiteten, getroffen. Die Söldnertruppen waren Träger und
Überträger von Infektionskrankheiten, die sich in den Feldlagern bei
Vernachlässigung der körperlichen Hygiene schnell verbreiteten. Die Landsknechte
waren großen körperlichen Strapazen unterworfen, das machte sie wenig geneigt,
noch ein hohes Maß an Energie für die Sauberkeit aufzuwenden und schwächte ihre
Abwehrkräfte. Blieben sie für längere Zeit in einem Lager an einem festen Ort,
dann wurde es schwierig, die Örtlichkeiten von den hinterlassenen Ausscheidungen
- krankmachenden Ausscheidungen, wenn sie selber krank waren - sauber zu halten.
Die Suche nach Nahrungsmitteln war ihren Führern das vordringlichste Problem,
denn die Männer verlangten zu essen. Da blieb keine Zeit für Hygiene und
Sauberkeit. Auch die durch Kampfhandlungen, Plünderungen und Brandschatzungen
vertriebenen Menschen verbreiteten Krankheitserreger in ihren Fluchtquartieren,
in denen sie zusammengepfercht hausten. Eindringlich beschreibt
Grimmelshausen das Sterben und die Qualen des Krieges am Ende seines fünften
Buches des »Simplicissimus«. »Das Viehe verdirbt vor Alter / und der arme Mensch
vor Krankheit: Der eine hat den Grind / der ander den Krebs / der dritte den
Wolff / der vierte die Frantzosen / (...) der zehende die Lungensucht / der
eylffte das Fieber / (...) Der eine stirbt in der Wiegen / der ander in der
Jugend auff dem Bett / der dritte am Strick / der vierte am Schwerd / der
fünffte auff dem Rad / der sechste auff dem Scheiterhauffen / der siebende im
Weinglas / der achte in einem Wasserfluß / (...) der zwölffte in einer Schlacht
/ der dreyzehende durch Zauberey / (...) Behüt dich Gott Welt / dann mich
verdreußt deine Conversation, das Leben so du uns gibst / ist eine elende
Pilgerfahrt / ein unbeständigs / ungewisses / hartes / rauhes / hinflüchtiges
und unreines Leben / voll Armseeligkeit und Irrthumb / welches vielmehr ein Tod
als ein Leben zu nennen (...) Dann obwohl nichts gewissers ist als der Todt / so
ist doch der Mensch nicht versichert / wie / wann und wo er sterben / und
(welches das erbärmlichste ist) wo sein Seel hinfahren / und wie es derselben
ergehen wird (...)«.
Söldner überfallen ein Dorf
Gemälde (Ausschnitt) von
Sebastian Vrancx (1573-1647)
In diesen harten Zeiten, in denen Mord und Brand, Hunger und Pest die Menschen
zerrütteten, lebten der Hexenglaube und die Hexenprozesse wieder auf. Bei
dem furchtbaren Druck, unter dem die Menschen tagaus tagein dahinlebten, gab
es kaum jemanden, der an dem Vorhandensein der mit dem Teufel im Bunde
stehenden Hexen und Zauberer zweifelte. In jeder Ortschaft
bestand ein »Ausschuss« von mehreren Männern, der jeder anonymen Anzeige
nachspürte und jeden Verdacht den »von Amts wegen« bestellten
Hexenkommissaren meldete. Gestanden die Beschuldigten ohne Folterung ihre
»Schuld«, so wurden sie »aus Gnaden« mit dem Schwerte gerichtet, musste von
ihnen aber unter Qualen oft mehrfacher Tortur das Geständnis erpresst
werden, so wurden sie dem Feuer überantwortet. Auch Johann Bernhard Gottsleben
hatte 1631 an einem gegen die Donsbacher Witwe Barb(en)
Jung Hansen durchgeführten Hexenprozess teilgenommen.
Als Hauptankläger wird er wohl nicht aufgetreten sein, da bereits seit 1520 die
Hexenverfolgung vollständig der weltlichen Gerichtsbarkeit zugefallen war.
Vermutlich ist die Delinquentin durch seine Fürsprache - er kannte die Baben
als fleißige Kirchgängerin -
sogar
der Ketzerhatz des Feuergerichts entgangen.
Hatten bereits früher
schwere Pestfälle die Dillenburger Lande getroffen, so überstiegen diese im
Laufe des Großen Krieges bei weitem das bisherige Maß. Die beiden großen Pestepidemien, die Dillenburg in den Jahren 1625/26 und 1635/36 heimsuchten,
übertrafen alles bisher Erlebte. »Anno 1625 den 18. Dezembris hatt das Sterben
allhie zu Dillenburg angefangen«, so lautet die Aufschrift auf dem ersten von
sechs schmalen vergilbten Blättern, die die einzelnen Pestfälle untereinander
nach Tagen geordnet verzeichnen. Damals sind im Laufe von 10 Monaten - das
Verzeichnis schließt mit dem 30. Oktober 1626 - zusammen 379 Personen, darunter
etwa 250 Kinder, der damaligen Stadtbevölkerung der Seuche zum Opfer gefallen.
Nach genauer Berechnung waren es 166 verschiedene, namentlich genannte Familien,
die diese Opfer gebracht haben. Wir zählen mindestens zwölf Familien, in denen
beide Eltern, sieben weitere, in denen fünf Kinder dahingerafft wurden. Unter
den Toten befand sich der Chronist und Dillenburger Stadtschreiber
Johann Textor
(1582-1626), der am 30. Oktober 1626 verstarb, nachdem er zwei Kinder und eine
Magd vor sich hatte hinsinken sehen. Erschütternd wirkt dazu die lange Liste der
Bürger und Witwen in der Stadtrechnung von 1626, die sich aus der Eberhard
Baumstämme holten und zu Brettern für Totenladen zerschneiden ließen.
Zehn Jahre später
schleppten die Soldaten Peter Ernsts II. von Mansfeld die Pestilenz wieder in die
Dillenburger Gegend ein, durch die 209 Menschen in Dillenburg zugrunde gingen.
Die außergewöhnlich hohe Zahl der Toten hatte den Oberpfarrer Johann Bernhard
Gottsleben veranlasst, das erste Totenbuch der Dillenburger Kirchengemeinde
anzulegen. Es trägt den Titel »Todtenbuch, das ist - Verzeichnis derer Personen,
So in diesem Kirchspiel, sowohl draußen auf den Dorffen, alß Eybach und
Nantzenbach, item Donsbach, Ober- und Niederscheld, alß auch hier in der Statt
Dillenberg von Mans- und Weibspersonen, Alten und Jungen, Todes verfahren seindt.
So ahngefangen ist im Jahr 1635, als die Kirche dieses Orts bedient haben:
Johannes Bernhartus Gotsleb und Conratus Posthius uterque Herbornensis. Surgite
mortui, venite ad judicium!« (beide aus Herborn. Erhebt euch, ihr Toten, kommt
zum Gericht).
Mit unheimlicher
Grausamkeit griff die Pest auch diesmal in manche Familien ein, von denen drei,
vier und fünf Glieder in ein Grab gelegt wurden. Die sich widersprechenden
hygienischen und kirchlichen Gegenmaßnahmen der Landesregierung spiegeln deren
Ratlosigkeit deutlich wider. Während sie in dem Edikt vom 12. September 1635
scharf tadelt, »daß allhier im Thal bey itziger ingerissener Landplagen und
hochbeschwerlichen Seuch der Pestillentz solche Vermischung, Ohnordnung und
Ohnbescheidenheit, ja auch wol bey vielen solcher mutt Will und Frevel darneben
mit unterlauffen, daß es fast das Ansehen gewinnen will, als solten Gesundte und
Unbefleckte denen Kranken und Befleckten weichen« und denjenigen, »die sich
bößlich gelüsten lassen, ihren Nachbarn und Mitbürgern diese Plage und Ungemach
zu Hof und Hauß zu bringen«, schwere Strafen androht, wird im Gegensatz zu
dieser unzweideutigen Absicht, die Gesunden von den Kranken scharf zu trennen,
zwei Monate später, am 21. November 1635 die Bevölkerung angewiesen, sich mit
besonderem Eifer das gemeinsame öffentliche Gebet angelegen sein zu lassen und
»zu dem Ende die gemeinen Versammlungen nit zu versäumen, sondern stets undt
ohne Unterlaß, so offt und dick dieselbe in der Kyrchen Gottes angestellet
werden, zu besuchen.« So blieb, wie immer in solchen Zeiten, die Kirche die
letzte Zuflucht für das Volk.
Ergreifend ist das
Schicksal der Familie unseres Johann Bernhard Gottsleben,
das die Teilnahme besonders erweckt, weil die Aufzeichnungen darüber von ihm
selbst ins Kirchenbuch eingetragen sind:
»1635 septembris 23.
abendts um 6 uhr Joh. Bernhard Gotsleben pastorn ein töchterlein, Anna Margreth
genannt, gestorben.« Das Kind war am 3. Dezember 1634 getauft worden. Schon
früher hatte Gottsleben eine Tochter Margarete verloren, die am 15. Dezember
1627 getauft war und nach Johann Bernhards Schwester genannt wurde.
»1635 octobris
12. ist Magdalena, mein des pastors Joh.
Bernhard Gotslebii ertzliebe hauszfraw sel., nachdeme sie den 9. des nachts
zwischen 11 und 12 uhren schwach worden und bisz uf den 12. gelegen, alsz eben
die glock eylf geschlagen, sanfft und seliglich im herren entschlafen und
folgenden tag mit ziemlicher frequentz mit vieler guthertziger frommer leuth
weinen und klagen begraben. Gott verleyhe ihr eine fröliche uferstehung. Eben in
diesem monat octobri im 1621. jhar, nemlich den 22. hatte ich das ja bekommen,
den 31. ejusdem weinkauff und den 27. novembris hochzeit gehalten und also so
nahe 14 jahre im ehestand friedlich und lieblich gelebt, acht kinder, zween
söhne, sex töchter miteinander gezeuget, da denn sex todt, zwey aber noch, ein
sohn und eine tochter, so lang gott will, noch leben«.
»[1635 octobris] 16.
morgens umb 6 uhr ist mein lieber sohn sel. Joh. Philipps, welcher den
mittwochen den 14. sich geleget und schwach geworden, gestorben und den 17.
morgens um 8 uhr begrab[en]; natus hic erat anno 1622, 19. septembris«.
»[1635 octobris] 17. abends
ein viertel stundt nach 5 Uhr ist mein noch übriges ein[z]iges hertzliebes
töchterlein Maria Magdalena, so sich den vorigen tag eben in der stundt, in
welcher Joh. Philipps sel. verschieden, gelegt und schwach worden, sanfft und
ruhig im herren entschlafen und folgenden tag begraben. Dieses kind war geboren
den 17. aprilis anno 1629 kurtz nach 12 uhren in der nacht.
Also habe ich dem lieben
gott in dieszem sterben innerhalb dreyen wochen vier seelen geschicket, die
mutter mit drey kinder, sonsten noch zeit unszers währenden ehstandes fünf
kinder, und ist also das reich meines gottes im himmel durch mich mit neun
seelen vermehret worden. Die leichnam wird der fromme gott ahm jüngsten tag
frölich auferwecken, mit ihren seelen vereinigen und sie also mit leib und seel
zu sich in sein ewiges reich nehmen. Gott, der getreu ist undt die seinigen
nicht will laszen versucht werden über ihr vermögen, sondern der versuchung also
ein ende machen, dasz sie dieselbige ertragen können, wolle dieszer seiner
verheiszung nach auch vätterlich mit mir handlen, mich trösten und stärken, mir
gedult undt auch fröliche überwindung verleyhen umb meines lieben herren und
heylandts Jesu Christi willen. Amen.«
Der so schwer Geprüfte hat
sein entsetzliches Unglück nicht lange überlebt. Durch die stetige Berührung mit
seiner pestkranken Familie wurde Johann Bernhard Gottsleben selbst
angesteckt. Am 1. November 1635 ging auch er zur ewigen Ruhe ein. 10 Tage nach
dem Tod seiner letzten Tochter wurde er bei Frau und Kindern begraben.
Das Dillenburger
Kirchenbuch besagt hierüber: »1635 novembris 1. Joh. Bernhard Gotslebii, pastor
und Kirchendiener zu Dillenberg, des morgens um 7 uhr selig entschlafen ohne
einigen schmertzen, nachdem er sich den 29. octobris gelegt. Gott der herr wolle
sich seiner herde gnädig erzeigen undt sie nicht nach beraubung ihrer lehrer
zerstreuen. Et sequenti uffm kirchhoff begraben worden bey sein weib und kinder.«
Der Familienname
Gottsleben starb mit ihm in Dillenburg aus. Die von
Konrad Post, dem
zweiten Dillenburger Pfarrer, in der Stadtkirche vor einer großen Trauergemeinde
gehaltene
»Christliche Klag- und Trostpredigt« wurde 1636 mit Trauer- und
Trostgedichten seiner Freunde und Schüler Justus-Henricus
Heidfeld
(1606-1667), Georgius Corvinus
(1608-1645), Johannes Daum (1612-??)
und R. G. in der Offizin Christoff Rab zu Herborn gedruckt.
Christliche Klag- und Trostpredigt
1636
Literatur
|
Becker, Emil: Die Dillenburger Lateinschule in der nassauischen Zeit.
Dillenburg: Weidenbach, 1939, S. 31 f. u. 80 f. |
|
Becker, Emil: Schloß und Stadt Dillenburg. Dillenburg: Magistrat, 1950 [Neuaufl.
1983], S. 125 f. u. 180 f. [Anlage E, hier Nennung des Namens Gottsleben]. |
|
Becker, Emil: Johann Bernhard Gottsleben.
In: Heimatblätter zur Pflege und Förderung des Heimatgedankens. Beilage zur
Dill-Zeitung 8 (1935), S. 32 u. 10 (1937), S. 22 u. 36. |
|
Domarus, Max von: Ein Opfer der Pest von 1635 in Dillenburg. In: Mitteilungen
des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [11.]
1907/08, Sp. 26-31. |
|
Dülmen, Richard van:
Entstehung des frühzeitlichen Europa. 1550-1648. Frankfurt a. Main: Fischer,
1989. (= Fischer Weltgeschichte; 24). |
|
Eintragungen im Dillenburger
Kirchenbuch (Auszug: VN 51 I). |
|
Gail, Günter H.:
Krieg, Pest, Hexenwahn in den nassauischen Grafschaften. Im Anhang:
Geheimer Hexen-Sonderauftrag der SS.
Überarbeitete und erweiterte Neuauflage. Wetzlar: Wetzlardruck, 2006, S.
18, 24 f., 56, 149 u. 151 [hier Nennung des Namens Gotslebio im
Zusammenhang mit dem 1631 geführten Hexenprozess gegen die
Donsbacher Witwe Barb(en)
Jung Hansen]. |
|
Heiler, Carl: Der Herborner Student 1584-1817. In:
Nassauische Annalen 55 (1935), S. 1-100. |
|
Heinemann, Evelyn: Hexen und
Hexenangst. Eine psychoanalytische Studie über den Hexenwahn der frühen
Neuzeit. 2., überarb. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1998. (=
Sammlung Vandenhoeck). |
|
Historischer Weg der Stadt
Dillenburg. Hrsg. vom Magistrat der Stadt Dillenburg. Dillenburg, 1992
[Faltplan]. |
|
Krusenstjern, Benigna von:
Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Kriege. Beschreibendes
Verzeichnis. Berlin: Akademie-Verlag, 1997, S. 100. |
|
Leichenpredigt »Gotslebius, Johannes Bernhardus«; Pastor zu Dillenburg;
Geburtstag, -ort: (Herborn); Sterbetag, -ort: 1. November 1635; Beerdigungstag,
-ort: 2. November 1635; Sachtitel: Christliche Klag- und Trostpredigt; Verfasser
der Leichenpredigt: Posthius, Conradus, aus (Herborn), damaliger Diener am wort
Gottes zu Dillenburg, jetzo Pastor zu Burbach; Verfasser von Epicedien:
Heidfeldt, Justus-Henricus, aus (Nassau), frz. / Corvinus, Georgius, lat. / gr.
/ Daum, Johannes, lat. / frz. / R.G., frz.; Druckort, Drucker, Erscheinungsjahr:
Herborn, Christoff Rab, 1636, Seitenumfang (paginierte/unpaginierte Seiten):
40/0; Format (Rückenhöhe/bibliographisches Format = Bogenfaltung): 8/4;
Bildliche Darstellung (Kopfvignette): 4, 35 / Schlußvignette: Titelbl.;
Standorte: Hessisches Staatsarchiv Marburg; Signatur: V B 434; Hessisches
Hauptstaatsarchiv Wiesbaden; Signatur: 1001/23,1; Hessische Landesbibliothek
Wiesbaden; Signatur Oct. Gl 6131; Erläuterungen zum Marburger Exemplar: Großer
Wasserfleck rechts oben; zum Hauptstaatsarchiv-Exemplar: Großer dunkelbrauner
Fleck mit Papierzersetzung, wasserfleckig; Eingebunden in einen Band mit
Personalakten Herborner Professoren, zeitgenössische handschriftliche Aufschrift
auf dem Titelblatt. |
|
Linde, Antonius van der: Die
Nassauer Drucke der Königlichen Landesbibliothek zu Wiesbaden. I. 1467-1817.
Wiesbaden: Feller & Gecks, 1882, S. 170
[Nr. 731], 253
[Nr. 1454] u. 396 [= Verzeichnung der gedruckten
Disputationen von Johann Bernhard Gottsleben]. |
|
Die Matrikel der Hohen Schule und des Pädagogiums zu Herborn. Hrsg. von
Gottfried Zedler und Hans Sommer. Wiesbaden: Bergmann, 1908. (Veröffentlichungen
der Historischen Kommission für Nassau; 5), S. 63, 235, 243, 717, 719 [hier
Eintragungen des Schulbesuchs und Studiums von Johann Bernhard Gottsleben]. |
|
Menk, Gerhard: Die Hohe Schule Herborn in ihrer Frühzeit (1584-1660). Ein
Beitrag zum Hochschulwesen des deutschen Kalvinismus im Zeitalter der
Gegenreformation. Wiesbaden: Historische Kommission für Nassau, 1981. (=
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau ; 30). |
|
Pest. Geschichte eines
Menschheitstraumas. Hrsg. Mischa Meier. Stuttgart: Klett-Cotta, 2005. |
|
Renkhoff, Otto: Johann Bernhard Gottsleben. In: Nassauische Biographie.
Kurzbiographien aus 13 Jahrhunderten. 2., vollst. überarb. u. erw. Aufl.
Wiesbaden: Historische Kommission für Nassau, 1992, S. 241. |
|
Steubing, Johann Hermann: Geschichte der Hohen Schule Herborn. Hadamer:
Gelehrten-Buchhandlung, 1823. |
|
Ulbricht, Otto: Gelebter
Glaube in Pestwellen 1580-1720. In: Im Zeichen der Krise. Religiosität in
Europa des 17. Jahrhunderts. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1999, S. 164
f. |
|
Vasold, Manfred: Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom
Mittelalter bis heute. Augsburg: Bechtermünz, 1999, S. 136 ff. [Im Zeitalter des
Dreißigjährigen Krieges]. |
Anmerkungen
Das Geburtsdatum wurde der Nassauischen Biographie entnommen. Max von Domarus
und Emil Becker geben um 1600 als Geburtsdatum an.
Das Pädagogium und die Hohe Schule wurden im Herbst 1594 nach Siegen verlegt
und blieben dort bis zum Wintersemester 1599/1600. Von Anfang November 1606
bis zum Frühjahr 1609 erfolgte eine abermalige Verlegung nach Siegen. Johann
Bernhards Vater war als Pädagogearch und Professor der Philosophie von 1587
bis 1599 am Pädagogium und der Hohen Schule in Herborn und in Siegen tätig.
Danach wurde er in die Residenzstadt Dillenburg an den Hof Graf Johanns VI.
zum Prediger und Inspektor der Dillenburger Kirchenklasse berufen und wirkte
von 1605 bis zu seinem Tod am 20. Januar 1612 als Pfarrer in Krombach. Die
Familie wird dem Vater an seine jeweilige Wirkungsstätte gefolgt sein und in
Herborn, in Siegen, in Dillenburg und in Krombach bei Siegen gewohnt haben.
In den Jahren, in denen Johannes Gottsleben in Dillenburg tätig war, wird
Johann Bernhard jedoch nicht in den Akten der Dillenburger Lateinschule
geführt (vgl. Emil Becker »Die Dillenburger Lateinschule in der nassauischen
Zeit«). Um einen mehrmaligen Schulwechsel ihres Sohnes zu vermeiden, werden
die Eltern Johann Bernhard wahrscheinlich in der Familie des Bruders und
Schwagers Andreas Jacob Hoen in Herborn untergebracht haben und ihn bis 1607
die dortige Lateinschule besuchen lassen. - In der Matrikel des Pädagogiums
finden wir in den Jahren 1607 und 1609 Johann Bernhard Gottsleben: »Post examen vernum 1607: (...) 5. Klasse: Johannes Bernhardus Gotslebius
Herbornensis. - Semestre aestivum anni 1609.
Anno Christi 1609 die 15.
Martii illustris schola Nassovica ex mandato illustrium et generosissimorum
comitum Nassovicorum Sigena Herbornam denuo migravit, cum in paedagogeo,
quod erat Sigenae, hi essent discipuli. N.B. Astericus appositus notat
nomina illorum, qui Sigena secuti sunt Herbornam. (...) In quarta classe,
cui praefuit Johannes Menius Heigeranus Nassov.
(...) * Johannes Bernhardus Godslebius Herbornensis.« Vgl.
Die Matrikel der Hohen Schule und des Pädagogiums zu Herborn. Wiesbaden,
1908, [1825] S. 235 u. [2074] S. 243.
n der Matrikel der Hohen Schule wird Johannes Bernhard Gottsleben ab 1614
als Student geführt: Anno 1614 (...) 29. Johan. Bernhardus Gotslebius
Herbornensis, Exempti ex paedagogeo 11. Maii 1614. Vgl. Die Matrikel der
Hohen Schule und des Pädagogiums zu Herborn.
Wiesbaden, 1908,
[1678] S. 63.
gl. Gerhard Menk: Die Hohe Schule Herborn in ihrer Frühzeit (1584-1660).
Wiesbaden, 1981, S.
218-231 (Pädagogik, Didaktik und Schulwesen) u. S. 231-257
(Föderaltheologie, Kirchenrecht, Exegese, Kontroverstheologie und Homiletik).
Die mit
ihrer Veröffentlichung ausgezeichneten
Disputationen »De causa meritoria justificationis hominis coram Deo: sive de
ea re, quæ homini à Deo ad justitiam imputatur. Defendit JOHANNES-BERNHARDUS
GOTSLEBIUS Herbornensis« und »Disputatio theologica I. De passione domini
nostri Jesu Christi, exhibens | προηγονμενα | istius Passionis: Ad quam
I Σίν Θεψ, I Publicè respondebit JOHANNES BERNHARDUS GOTTSLEB, Herbornensis
Nassovicus. Herbornæ Nassoviorum. 1620. 4to. 10 bll« erschienen um 1614 und
1620 im Druck. Vgl. Die Matrikel der Hohen Schule und des Pädagogiums zu
Herborn, S. 711-728 (= Zeitlich geordnetes Verzeichnis der in den Herborner
Dissertationen als Respondenten auftretenden Studenten der Hohen Schule [Nr.
247] S. 717 u. [Nr. 347] S. 719.) u. Antonius von der Linde: Die Nassauer
Drucke der Königlichen Landesbibliothek in Wiesbaden. I. 1467-1817.
Wiesbaden: Feller & Gecks, 1882, S. 170 [Nr. 731] u. 253 [Nr. 1454].
»Erstlich ist von nöthen, die lateinische Sprache zu wissen; dazu gehören
praecepta grammatica und autores classici, als Cicero, Terentius, Vergilius,
Ovidius, Horatius, Julius Caesar und dergleichen andere mehr. Darnach die
Elementa graecae linquae und also wiederumb die praecepta grammatica sampt
etzlichen probatis autoribus graecis als da seindt Isocrates, Theognis,
Hesiodus und andere mehr. Zum dritten könnten die Erwachsenen mit dero Zeit
initia linquae Habraicae hören. Zum vierdten wäre auch nicht ohnrathsam, die
französische Sprache in dero Schule zu lehren. (...) Dieweil die Jugend
gemeinlich nachlässig ist und guter Anmahnung bedarf, so muß in alle Wege
der Ohnfleiß, Ohngehorsam und Mutwille gestraft werden. Hierzu dienen aber
diese nachfolgenden Dinge: 1. Freundliche und auch wohl (nach Befindung)
ernsthafte tägliche Ermahnungen. 2. Und wiewohl zu verhüten, daß man es vors
erste nicht leichtlich zum schlagen kommen lasse, so will und muß doch die
Ruthe mittgebrauchet seyn, soll anders die Jugend in gebührlicher Zucht und
Forcht erhalten werden. 3. Wenn aber die Verbrechung nicht so groß, könnten
anstatt dero Ruthen noch andere Mittel zur Züchtigung dienlich, adhibiret
werden als a) Verbietung derer Spieltage und dergleichen Ergetzungen; b)
Ufflegung geringer träglicher Geldstrafen, sonderlich für die Erwachsenen;
c) die Schul kehren; d) Feuer zu machen; e) zu Tische zu dienen; f) stehend
die Lection hören; g) in der Schule bleiben, wenn die andern heymb gehen; h)
etwas gewisses auswendig lernen und recitiren«. Auch sollen »die Jungen an
eine feine, zierliche Handschrift sich zu gewöhnen fleißig angehalten
werden, also daß einer der Inwohnjungen (Stipendiaten), so am allerbesten
schreiben, deligiret und denen anderen allen, hierin zu imitiren vorgestellt
werden«. Zur Schulzucht wird ausgeführt, dass die Schüler sich »in Kleidung,
schuen mitt hende vnd angesicht waschen, nach gelegenheit vnd möglichkeit
reynlich und zierlich halten, mitt huedt abziehen vnd ehrerpietung gegen
ehrlichen fürnehmen leuthen, züchtigem wandel vnd Ingezogenheit vff der
gaßen, in der kirchen vnd sonsten erbarlich vnd der Gebühr sich erzeigen,
gleichfalls auch die schule, zusampt denen darzu gehörigen gemachen
jederzeitts sauber halten«.
mil Becker: Die Dillenburger Lateinschule in der nassauischen Zeit.
Dillenburg, 1939, S. 19 ff., 31 f., 80 f. u. 128 ff. -
Henrich Beigarten stiftete mit anderen reichen Bürgern 1617 Geld für den
Ausbau der Dillenburger Stadtmauer. Hinweis bei Emil Becker: Schloß und
Stadt Dillenburg. Dillenburg, 1983, S. 106. - Biographische Kurzdaten zur Familie Beigarten
gibt Emil Becker: Die Dillenburger Lateinschule in der nassauischen Zeit.
Dillenburg, 1939, S. 126 (Nr. 190), 130 (Nr. 260) u. 132 (Nr. 286).
Von Philipp Bey(i)gartens uns bekannten Söhnen war Georg Ludwig (um
1623-1705) Pfarrer in Ulm/Grafschaft Greifenstein, Leun und
Kröffelbach/Kreis Wetzlar und Johann Philipp Ratsverwandter, Gerichtsschöffe
und 1679 Bürgermeister in Dillenburg. Vgl. Emil Becker: Die Dillenburger
Lateinschule in der nassauischen Zeit. Dillenburg, 1939, S. 126 (Nr. 190),
130 (Nr. 260) u. 132 (Nr. 286).
Barb
(Kurzform für Barbara)
war 1591 - damals dürfte sie drei Jahre alt gewesen sein - als Waise von Nanzenbach zu Verwandten nach Donsbach gekommen. 1612 heiratete sie
dort den vermögenden Bauern Hans Jung. Der Ehe war wenig Glück beschieden: Ein Sohn starb
nach 18 Monaten, ein anderer ertrank, der Mann war schwerkrank. Nachdem »die Barb« 1625 noch einmal ein Kind
bekam, nahm das Unglück seinen Lauf. Sie ließ sich nach erster
Gegenwehr mit dem im Dorf als Frauenverführer bekannten Ningel ein. Nicht
nur Barbs Ehemann, sondern auch Ningels Frau erfuhren von dem
ehebrecherischen Verhalten der beiden. Als sich der Gesundheitszustand von Babens Mann weiter
verschlechterte, brachte dessen Verwandtschaft die Ehebrecherin aus
Rachsucht, jedoch wohl in Unkenntnis der Folgen, in den Verdacht der Zauberei und
Hexerei. Alles Unheil im Dorf, auch wenn es schon lange zurücklag,
wurde ihren angeblichen Zauberkräften zugeschrieben. Die Aussagen von
sechs Zeugen während der Voruntersuchungen reichten zu einer
Inhaftierung aus. Am 20. Oktober 1631 kam Barben Jung ins Gefängnis nach
Dillenburg. Liebes- und Schadenszauber, Morde an eigenen und anderen
Kindern sowie Vergiftungsversuche wurden ihr vor allem von Verwandten
ihres Mannes und einer Nebenbuhlerin angelastet. Am 29. Oktober wurde die Anklage gegen die Barb
in aller Härte eröffnet. Bereits am 1.
November ermahnte der Kommissar sie mit Hinweis auf die hohen Prozesskosten zu
einem Geständnis. Die bis dahin selbstsichere Bäuerin, die
anscheinend - wie auch die übrigen Dorfbewohner - nur des einheimischen
Dialekts mächtig war, protestierte lautstark gegen die für sie teils
unverständliche Ausdrucksweise des Anklägers.
Kurz vor ihrer ersten Folterung
nahm Johann Bernhard Gottsleben am 9. und 10. November 1631 an ihrer
Vernehmung teil.
Am 12. November
wurde Barben dann das erste Mal auf die Folterbank gespannt, geblendet und
gebunden. Doch sie beteuerte weiterhin ihre Unschuld. Nachdem man ihr die
Schrauben zur Quetschung der Beine und Arme angesetzt hatte, gestand sie
abermals nur den begangenen Ehebruch. Da sie
nach der Tortur nicht mehr gehen konnte, verhörten sie der Kommissar und
die beiden Schöffen in ihrer Zelle. Die sich nach dem Tode sehnende
Angeklagte gestand nun alle ihr unterstellten Schandtaten, nannte aber aus
Vergeltung weitere Personen, die an den Zaubereien mitgewirkt hätten.
Diese Aussage zur Mittäterschaft widerrief Barbara Jung nach einer
nochmaligen Folter am 26. November. Nach einem Gnadengesuch der Kinder -
der Ehemann war bereits sechs Wochen vor Prozessbeginn gestorben - wurde Barb am 29. November 1631 durch das Schwert des Scharfrichters
hingerichtet.
Vgl. Günter H. Gail:
Krieg, Pest, Hexenwahn in den nassauischen Grafschaften. Im Anhang:
Geheimer Hexen-Sonderauftrag der SS.
Überarbeitete und erweiterte Neuauflage. Wetzlar: Wetzlardruck, 2006.
Prozessakte
Inqvitio contra Barben, Jung Hansen sel: Wittiben zu Donspach ANNO 1631
Reproduktionen aus der kommentierten Prozessakte mit freundlicher
Genehmigung von Günter H. Gail, der mir auch den Hinweis auf den
Hexenprozess gab.
Auch die Familie von Johann Bernhard Gottslebens Vetter
(*)
Philipp Heinrich Hoen wurde durch die Auswirkungen des Krieges schwer getroffen. Hoens Frau
Anna, geb. Stöver, starb am 2. Mai 1635 auf dem Schloss zu Dillenburg und
wurde am 7. Mai in der Dillenburger Stadtkirche mit einer Messe des
Oberpfarrers Johann Bernhard Gottsleben zu Grabe getragen. Vorher hatten die
Hoens bereits zwei Söhne und mehrere Töchter verloren. Ihr ältester Sohn
Erasmus nahm in den Niederlanden, anschließend im Heer des Dänenkönigs
Christian IV. am Kriegsgeschehen teil. 1631 trat er in venezianische
Dienste, wobei er im gleichen Jahr bei der Überfahrt nach Venedig im
»Kantabrischen Meer« ertrank (»postea miles in Belgio, item sub rege Daniae,
tandem inter alios lectus a Venetianis in urbe Amstedolamiensi; quorum signa
e Batavia secutus naufragio in Oceano Contabrico submersus anno 1631
obiit«). Auch Philipp Heinrich der Jüngere wandte sich dem Kriegshandwerk
zu, tat, wie sein Bruder, zunächst Dienst in den Niederlanden und trat
anschließend in ein von seinem Landesherrn, dem Grafen Ludwig Heinrich von
Nassau-Dillenburg, aufgestelltes und in schwedische Dienste überführtes
Regiment ein, in dessen Reihen er als Fähnrich (Signifer) am 5. Februar 1634
während der Belagerung von Ruffach im Elsass den Soldatentod fand (»postea
miles in Belgio, tandem signifer sub generoso nostro comite domino
Ludovico=Henrico in Nassau in exercitu regiae maiestatis Sueciae; in
oppugnatione Ruffaci Alsatiorum oppidi anno 1634 nonis Febr. occubuit«).
(*)
Als
Vettern konnten im Frühneuhochdeutschen alle möglichen entfernten männlichen
Verwandten (auch angeheiratete) bezeichnet werden: neben den Onkeln auch die
Cousins und sogar die Enkel. In diesem Sinne ist hier die Vetternangabe
genutzt, die ja im damaligen Sprachgebrauch für alle möglichen männlichen
Verwandten üblich war und nicht im engen Sinne nur für den Vater- oder
Mutterbruder. Vgl.
Historische Sprachwissenschaft des Deutschen: eine Einführung
in die Prinzipien des Sprachwandels / Damaris Nübling in Zusammenarbeit mit
Antje Dammel ... - 4., komplett überarb. und erw. Auflage. - Tübingen: Narr,
2013,
S. 131. |
Stand: Oktober
2015
Klaus Gottsleben
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