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Ramismus in den Statuten der Hohen Schule Herborn

Als Grundlage aller wissenschaftlichen Bemühungen war der Ramismus in den Statuten der Hohen Schule vorgeschrieben. Die ramische Wissenschaftstheorie setzte weithin die wissenschaftlichen Akzente, die die Herborner Buchpublikationen und die Form der Lehre so unverwechselbar im kalvinistischen Deutschland machten. Sowohl Olevian, Zepper, Althusius, Piscator, Textor wie auch die Professoren der zweiten Generation, Martinius, Alstedt, Gutberleth oder Hoen, waren diesem wissenschaftlichen Prinzip verpflichtet, das seinem Namen dem französischen Humanisten, Mathematiker und Philosophen Petrus Ramus (Pierre de la Ramée, 1515-1572, bekannter unter seiner latinisierten Namensform) verdankt.
   
Ramus griff als Gegner der scholastischen Tradition die aristotelische Logik an. Seine beiden Schriften gegen Aristoteles brachte die Sorbonne gegen ihn auf, dennoch wurde er der erste Mathematikprofessor am Collège royale (Collège de France). Seine »natürliche« Logik verquickt Logik und Rhetorik. 1562 trat er zum Kalvinismus über. Viel angefeindet, musste er Paris verlassen und lehrte zeitweise in Heidelberg, wo er Vorlesungen über Cicero hielt. Seine 1555 veröffentlichte Dialectique ist das erste philosophische Buch in französischer Sprache. Pierre de la Ramée wurde in der Bartholomäusnacht ermordet.
   
In der Herborner Schule erwuchs dem Ramismus seit Aufnahme des Lehrbetriebs ein neues Zentrum, das nicht unwesentlich auf die beiden zur Gründungszeit wichtigsten Persönlichkeiten innerhalb der Professorenschaft, Capar Olevian und Johann Piscator, zurück ging. Während Olevian schon zu seiner Heidelberger Zeit die Einführung des Ramismus gegen den erbitterten Widerstand seines theologischen Kollegen Zacharias Ursin an der Ruperto-Carola versucht hatte, kann Johann Piscator seit seiner Straßburger Studienzeit als Anhänger des Ramismus angesehen werden. Bereits vor seiner Tätigkeit in Herborn veröffentlichte er zahlreiche, zumeist in Frankfurt am Main erschienene Ramus-Kommentare und -Editionen, die ihn schon vor 1584 zu einem bekannten Vertreter des Ramismus auswiesen. Nach Gründung der Hohen Schule konnte der Lehrkörper rasch mit weiteren Ramisten aufgefüllt werden. Die aus Korbach berufenen Professoren und Präzeptoren Lazarus Schöner, Hermann Crantz und Hermann Gerenberg kamen 1586 allesamt auf Betreiben Olevians nach Herborn.
   
Vor allem Schöner ist als einer der wichtigeren und bedeutenderen Ramisten anzusehen. Der Kreis erweiterte sich dann durch den aus Marburg nach Herborn wechselnden Hieronimus Treutler. Außer den zahlreichen jüngeren Professoren, die wegen ihrer Ausbildung an der Johannea dem Ramismus anhingen, ist außerdem noch der aus Lüneburg zugewanderte Johann Biesterfeld zu nennen, der während seiner Herborner Zeit einige Veröffentlichungen ramistischer Lehrbücher vorlegte. Zu Lebzeiten Olevians war die Festlegung auf den Ramismus unstrittig.
   
Im Sommer 1587 allerdings, als man sich auch über eine institutionelle Verankerung der Wissenschaftstheorie im Senat einigen musste, konnte keine vollständige Einmütigkeit über die Benutzung der Dialektik und Grammatik erreicht werden. Während Schöner auf der ausschließlichen Verwendung ramistischer Werke beharrte, schlug Jodocus Nahum vor, von Ramus’ Werken wieder abzugehen und stattdessen die Lehrbücher Melanchthons zu benutzen. Johann VI. verordnete, dass sowohl Ramus wie Melanchthon zu berücksichtigen seien. Angesichts der Verschwommenheit der Vorstellungen über den Unterschied zwischen Ramismus und Aristotelismus bleibt immerhin die Betonung der praktisch-pädagogischen Momente ramistischer Philosophie als unterscheidendem Merkmal zum Aristotelismus ohne allen Zweifel festzuhalten.
   
Die Betonung der Praxis im Unterrichtsbetrieb hätte kaum jene Bedeutung erlangen können, wäre sie nicht den Erfordernissen der Zeit entgegengekommen: Der Kampf der Konfessionen erforderte rhetorisch bestens geschulte Abgänger der universitären Anstalten, die sowohl in Kirche wie Schule die Untertanen in verständlicher und überzeugender Weise belehren konnten, zugleich aber auch in der Lage sein mussten, die eigene dogmatische Position, sei es im Gespräch oder aber in schriftlicher Form, gegen den Anhänger einer anderen Konfession zu vertreten. Auch trug der Ramismus erheblich zur Beförderung der Nationalsprachen im wissenschaftlichen Programm bei. Zwar bedeutet dies nicht, dass die lateinische Sprache als einigendes Band für die europäische Wissenschaft aufgegeben wurde. Vielmehr behielt sie weiterhin ihre alte Rolle als gesprochene und geschriebene Sprache für Wissenschaftler. Dies schloss allerdings nicht aus, dass eine graduelle Aufwertung der Nationalsprache in manchen Vorlesungen, wo dies angebracht erschien, erfolgen konnte. In Herborn wurden an der Johannea Übertragungen von lateinischen Werken ins Deutsche erstellt, um so eine breitere Schicht als nur die der Wissenschaftler ansprechen zu können. Ein weiterer den Ramismus auszeichnender Zug liegt in seiner Beförderung des Ganzheitlichen, der in Herborn besonders in Johann Heinrich Alsteds enzyklopädischen Kompendien seinen Niederschlag fand und später bei Johann Amos Comenius in einer entwickelteren Form wiederzufinden ist.

Literatur

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Menk, Gerhard: Die Hohe Schule Herborn in ihrer Frühzeit (1584-1660). Wiesbaden, 1981, S. 203-217 (Der Ramismus).

Stand: 2005
Klaus Gottsleben
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